Die Vereinten Nationen sind zunehmend besorgt um den Schutz der Zivilbevölkerung in Myanmar, da sich bewaffnete Konflikte über das ganze Land ausbreiten. Laut dem UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) werden die Menschen in mehreren Bundesstaaten weiterhin durch die Verseuchung mit Landminen, Explosivstoffen, Kämpfe mit schweren Waffen und Bombardierungen aus der Luft aus ihren Häusern vertrieben, was die ohnehin schon katastrophale humanitäre Lage weiter verschärft.
In seinem jüngsten Bericht über Myanmar, der am Montag veröffentlicht wurde, erklärte das OCHA, dass Schätzungen zufolge mehr als 3 Millionen Menschen im ganzen Land vertrieben wurden. Viele der neuen Vertriebenen leben ohne angemessene Unterkünfte und sind während der Monsunzeit schweren Unwettern ausgesetzt.
"Die große Mehrheit der Vertriebenen lebt im Dschungel, auf offenen Feldern oder in Behelfsunterkünften. Seitdem der Monsun eingesetzt hat, sind viele vertriebene Männer, Frauen und Kinder schweren Unwettern mit heftigen Regenfällen, starkem Wind und Überschwemmungen ausgesetzt", heißt es in dem Bericht.
In vielen Landesteilen Myanmars sind bewaffnete ethnische Organisationen (EAOs) und Volksverteidigungskräfte (PDFs) seit Oktober 2023 in der Offensive gegen die Militärregierung (Junta). Nach Angaben der Vereinten Nationen ist diese Eskalation die größte und geografisch am weitesten verbreitete seit der Machtübernahme durch das Militär im Jahr 2021.
Die anhaltende Eskalation der Konflikte in dem südostasiatischen Land - einschließlich des schlimmsten Ausmaßes an Gewalt seit 2021 - beeinträchtigt die Menschen in fast allen Teilen des Landes. Die kriegerischen Auseinandersetzungen haben sich auf viele Teile des Landes ausgeweitet, insbesondere auf den Rakhine-Staat, den Nordwesten, den Kachin-Staat und den Südosten.
Das Land befindet sich in einer entscheidenden Phase des mehr als drei Jahre andauernden Konflikts nach dem Staatsstreich, in der nichtstaatliche bewaffnete Gruppen beträchtliche Gebiete erobern und beispiellose Angriffe gegen die Militärjunta Myanmars starten.
Die Zivilbevölkerung trägt die Hauptlast der anhaltenden Kämpfe zwischen den Streitkräften Myanmars (MAF) und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen mit tödlichen Luftangriffen und schwerem Granatenbeschuss, auch in Wohngebieten. Die humanitäre Lage im Bundesstaat Rakhine ist besonders besorgniserregend, da die Kampfhandlungen zunehmen und die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen schwelen.
Heftige Kämpfe in Rakhine haben in den letzten Monaten Tausende von Menschen zur Flucht gezwungen. Der erneute Konflikt zwischen der MAF und der bewaffneten ethnischen Organisation Arakan-Armee (AA) dauert nun schon mehr als sieben Monate an, wobei die Kämpfe sowohl im Norden als auch im Süden des Bundesstaates andauern.
In seinem heutigen Bericht erklärt OCHA, dass in Rakhines Hauptstadt Sittwe die Sorge um den Schutz der Zivilbevölkerung wächst, wobei Berichte über neu ausgelegte Minen, Zwangsräumungen und Massenverhaftungen in der Stadt vorliegen.
Im nördlichen Rakhine führte die Einnahme der Gemeinde Buthidaung durch die AA im Mai zur Vertreibung von geschätzten 70.000 Menschen. Die bewaffnete Gruppe hat ihre Offensive auf das Township Maungdaw ausgeweitet, und das Militär hat die Menschen aufgefordert, die Stadt bis zum 26. Juni zu verlassen. Berichten zufolge sollen die Zusammenstöße in Maungdaw näher am Stadtzentrum stattfinden.
Seit November letzten Jahres hat die Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts schätzungsweise 310.000 Menschen in Rakhine und im benachbarten Paletwa Township in Chin vertrieben. Zusammen mit den bereits Vertriebenen beläuft sich die Gesamtzahl der Vertriebenen in Rakhine auf über 510.000 Menschen.
OCHA warnte, dass mehr als ein halbes Jahr nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe die vertriebenen und vom Konflikt betroffenen Menschen in ganz Rakhine mit steigenden Lebensmittelpreisen auf den am härtesten betroffenen Märkten und einem weit verbreiteten Mangel an lebenswichtigen Haushaltsgegenständen, einschließlich Medikamenten und Hygieneartikeln, konfrontiert sind.
Die Sperrung von Straßen und Wasserwegen behindert weiterhin die humanitären Maßnahmen und beeinträchtigt den Transport von Hilfsgütern sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bundesstaates.
Während es in Rakhine seit Oktober letzten Jahres zu heftigen Kämpfen und schlimmsten Vertreibungen gekommen ist, sind weite Teile des Landes von Zusammenstößen zwischen bewaffneten ethnischen Organisationen und der Armee Myanmars betroffen, darunter der Kachin-Staat und der nördliche Shan-Staat sowie mehrere andere Staaten und Regionen.
Das UN-Amt für humanitäre Hilfe teilte mit, dass sich die Kämpfe in Kachin in mehreren Gemeinden verschärft haben und vermutlich bis in die Nähe der Hauptstadt Myitkyina vorgedrungen sind, wobei zahlreiche Menschen vertrieben wurden.
Im nördlichen Shan halten die Streitkräfte Myanmars und die Three Brothers Alliance die vorübergehende Waffenstillstandsvereinbarung nicht mehr ein, und in der letzten Juniwoche kam es in mehreren Gemeinden erneut zu Zusammenstößen.
Im Nordwesten ist der Schutz der Zivilbevölkerung nach wie vor ein ernstes Problem, da immer wieder von Opfern des massiven Einsatzes von Luftangriffen, Artilleriebeschuss, Landminen und anderen Militäroperationen in Chin, Magway, Sagaing und Mandalay berichtet wird.
Fast 1,6 Millionen Menschen sind im Nordwesten des Landes auf der Flucht, das ist mehr als die Hälfte aller Vertriebenen im ganzen Land. Seit Ende Mai wurden schätzungsweise 40.000 Menschen im gesamten Nordwesten neu vertrieben.
Der anhaltende Konflikt im Südosten gibt ebenfalls Anlass zur Sorge um die Sicherheit der Zivilbevölkerung. Die humanitäre Lage im Südosten des Landes verschlechtert sich angesichts der anhaltenden Konflikte in mehreren Bundesstaaten und Regionen weiter.
OCHA warnte, dass die jüngsten Angriffe und Besetzungen von humanitären Einrichtungen in Rakhine und anderen Teilen des Landes die Risiken für die humanitären Helfer und die von ihnen betreuten Gemeinschaften erhöhen.
In Nord-Rakhine wurde beispielsweise letzte Woche ein Lagerhaus des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in der Gemeinde Maungdaw geplündert und in Brand gesetzt, in dem fast 1.200 Tonnen lebenswichtiger Nahrungsmittel und Hilfsgüter aufbewahrt wurden. In einer Mitteilung verurteilte das WFP die Gewalt und berichtete, dass es seit Ende Mai aufgrund der anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen keinen Zugang zu dem Lagerhaus hatte.
Am Donnerstag teilte die Nichtregierungsorganisation Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen, MSF) mit, dass sie ihre medizinischen Aktivitäten in drei Gemeinden im Norden von Rakhine wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eingestellt habe.
Gleichzeitig sind die humanitären Maßnahmen im Land stark unterfinanziert.
"Nach sechs Monaten ist der 994 Millionen Dollar umfassende Humanitäre Bedarfs- und Reaktionsplan für Myanmar nur zu 12 Prozent finanziert, mit etwa 123 Millionen Dollar auf der Habenseite. Wir brauchen dringend mehr Mittel, um die Finanzierung wiederherzustellen und die Operationen zu unterstützen", sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric, der heute Reporter in New York informierte.
Trotz des eingeschränkten Zugangs der humanitären Helfer und der Finanzierungsengpässe haben die humanitären Organisationen im ersten Quartal 2024 landesweit fast 950.000 Menschen mit lebensrettender Hilfe erreicht. Dies sind jedoch weniger als 20 Prozent der 5,3 Millionen Menschen, die in diesem Jahr Hilfe erhalten sollen.
OCHA warnte, dass die Hilfsorganisationen ohne eine dringende Finanzspritze bald gezwungen sein werden, untragbare Entscheidungen über die Kürzung der geplanten Hilfe zu fällen.
In Myanmar sind 18,6 Millionen Frauen, Kinder und Männer auf humanitäre Hilfe angewiesen - die fünftgrößte Zahl weltweit. Unter den Notleidenden befinden sich 6 Millionen Kinder. Trotz des enormen Bedarfs sind die Zugangsbeschränkungen nach wie vor gravierend.
Der Hunger nimmt im ganzen Land zu. Im Jahr 2024 dürfte die Ernährungslage von etwa 12,9 Millionen Menschen - fast 25 Prozent der Bevölkerung - unsicher sein, und das Risiko einer Unterernährung, insbesondere bei Kindern und schwangeren Frauen, steigt.
Das Gesundheitssystem ist in Auflösung begriffen, und die grundlegenden Medikamente gehen zur Neige. Allein in diesem Jahr werden schätzungsweise 12 Millionen Menschen in Myanmar medizinische Nothilfe benötigen.
Angesichts der in weiten Teilen des Landes herrschenden Konflikte fliehen die Menschen in Rekordzahlen aus ihren Häusern. Von den mehr als 3,1 Millionen Binnenvertriebenen sind mindestens 2,8 Millionen seit der Machtübernahme durch das Militär aufgrund des Konflikts und der Unsicherheit geflohen. Es wird davon ausgegangen, dass ein Drittel der Vertriebenen Kinder sind.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Humanitäres Update Myanmar Nr. 39, UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, Bericht, veröffentlicht am 1. Juli 2024 (in Englisch)
https://reliefweb.int/report/myanmar/myanmar-humanitarian-update-no-39-1-july-2024