26 im Jemen tätige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben am Dienstag ihre große Besorgnis über die humanitären Auswirkungen der jüngsten militärischen Eskalation im Jemen und am Roten Meer zum Ausdruck gebracht. Die humanitäre Krise im Jemen ist nach wie vor eine der größten der Welt. Die Nichtregierungsorganisationen warnen, dass die Eskalation die Situation für die gefährdete Zivilbevölkerung nur verschlimmern und die humanitären Organisationen daran hindern wird, wichtige Hilfsleistungen zu erbringen.
In einer Stellungnahme forderten die NGOs alle Akteure auf, diplomatischen Wegen den Vorzug vor militärischen Optionen zu geben, um die Krise zu deeskalieren und den Fortschritt der Friedensbemühungen im Jemen zu sichern, da die Angst vor einer Ausweitung des Konflikts wächst.
Seit vergangener Woche fliegen die Vereinigten Staaten und Großbritannien in mehreren Teilen des Jemen Luftangriffe gegen Stellungen der Huthi-Rebellen. Dies ist eine Vergeltung für wochenlange Angriffe der Rebellen, die den Schiffsverkehr im Roten Meer und im Golf von Aden unterbrochen und Schiffe beschädigt haben. Die völkerrechtswidrigen Luftangriffe der USA und Großbritanniens wurden mit Unterstützung anderer Länder, darunter die Niederlande, Australien und Kanada, durchgeführt.
Die Huthis - auch bekannt als Ansar-Allah-Bewegung - geben an, palästinensische bewaffnete Gruppen im Krieg gegen Israel im Gazastreifen zu unterstützen, indem sie die internationale Schifffahrt im Roten Meer attackieren. Die Rebellen haben erklärt, dass sie ihre Operationen gegen Schiffe im Roten Meer auch nach den Vergeltungsschlägen fortsetzen werden.
"Die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur müssen geschützt werden, und die sichere und ungehinderte Lieferung humanitärer Hilfe muss gewährleistet sein. Im breiteren regionalen Kontext bekräftigen wir auch die Forderung nach einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen, um Leben zu retten und weitere Instabilität in der Region zu verhindern", heißt es in der Erklärung der NGOs.
Neun Jahre Krieg haben dazu geführt, dass mehr als 21 Millionen Menschen - über zwei Drittel der Bevölkerung - dringend auf Nahrungsmittel, Wasser und lebensrettende Hilfe angewiesen sind. Millionen von Jemeniten sind von Vertreibung, Ernährungsunsicherheit und eingeschränktem Zugang zur Grundversorgung betroffen. Das Land steht vor einer schweren Unterernährungskrise, insbesondere bei Frauen und Kindern. Angesichts der weltweit höchsten Unterernährungsrate benötigen 1,3 Millionen schwangere und stillende Frauen und 2,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren dringend medizinische Versorgung.
Die Auswirkungen der Sicherheitsbedrohung im Roten Meer sind für die humanitären Organisationen bereits spürbar, da die Unterbrechung des Handels die Preise in die Höhe treibt und zu Verzögerungen bei der Lieferung lebenswichtiger Güter führt. Nach den Luftangriffen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens sehen sich einige Hilfsorganisationen gezwungen, ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen einzustellen, während andere prüfen, ob sie ihre Arbeit fortsetzen können.
Eine weitere Eskalation könnte dazu führen, dass noch mehr Organisationen gezwungen sind, ihre Arbeit in Gebieten einzustellen, in denen die Feindseligkeiten andauern. Die Beeinträchtigung lebenswichtiger Infrastrukturen, einschließlich strategischer Häfen, hätte erhebliche Auswirkungen auf die Einfuhr lebenswichtiger Güter in ein Land, das stark von Importen abhängig ist.
"Die Verknappung und Verteuerung von Grundbedarfsgütern wie Lebensmitteln und Treibstoff wird die ohnehin schon schlimme Wirtschaftskrise noch verschärfen, die Abhängigkeit von Hilfslieferungen erhöhen und die Schutzrisiken steigern. Alle Akteure sind rechtlich verpflichtet, eine sichere und ungehinderte humanitäre Hilfe zu gewährleisten, damit Menschen in Not Zugang zu Hilfsdiensten haben."
Obwohl die humanitären Organisationen in einer der schwierigsten Umgebungen der Welt tätig sind, bleiben sie dem Ziel verpflichtet, Millionen von Menschen im Jemen lebensrettende Hilfe zukommen zu lassen.
"Unsere Fähigkeit, die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu erreichen, wird jedoch bereits durch die rückläufigen globalen Mittelkürzungen und die Aussetzung der Nahrungsmittelhilfe beeinträchtigt, die einige Organisationen dazu gezwungen haben, ihre Aktivitäten erheblich einzuschränken", so die NGOs.
"Die politischen Verantwortlichen müssen die schwerwiegenden humanitären Folgen einer militärischen Eskalation bedenken und von Maßnahmen absehen, die zu einem erneuten bewaffneten Konflikt im Jemen führen könnten", heißt es in der Erklärung weiter.
Die Nichtregierungsorganisationen warnen, dass die jüngste Eskalation auch die Gefahr einer umfassenderen regionalen und internationalen Konfrontation verdeutlicht, die den fragilen Friedensprozess im Jemen und die längerfristige Stabilisierung untergraben könnte.
Zu den Unterzeichnern der Stellungnahme zählen unter anderem: Action contre la Faim, CARE, Danish Refugee Council, Humanity & Inclusion - Handicap International, International Rescue Committee, Islamic Relief, Norwegian Refugee Council, Relief International und Save the Children.
In einer separaten Erklärung warnte die humanitäre Organisation Oxfam am Montag, dass "das Letzte, was der Jemen braucht, ein weiterer Konflikt ist". Oxfam rief Großbritannien, die Vereinigten Staaten und alle anderen Beteiligten dazu auf, unverzüglich zu deeskalieren und eine umfassende politische Lösung im Jemen voranzutreiben.
In diesem Zusammenhang fanden am Dienstag im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht-öffentliche Konsultationen zum Jemen statt. Die Mitglieder hörten den UN-Sondergesandten Hans Grundberg, der seine Gespräche mit allen Seiten fortsetzt. Ebenfalls am Dienstag besprach Grundberg nach Angaben eines UN-Sprechers in einem Telefonat mit dem Chefberater des iranischen Außenministers, Ali Asghar Khaji, die Friedensbemühungen im Jemen.
Im Dezember 2023 einigten sich die Kriegsparteien im Jemen nach einer Reihe von Treffen unter UN-Vermittlung in Saudi-Arabien und Oman auf wichtige Schritte zur Beendigung des verheerenden Bürgerkriegs. Zu den vereinbarten Maßnahmen gehören die Umsetzung eines landesweiten Waffenstillstands, die Verbesserung der Lebensbedingungen im Jemen und die Wiederaufnahme eines umfassenden politischen Prozesses unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, der zu einem dauerhaften Frieden im Jemen führen soll.
Am Wochenende gab Grundberg eine Erklärung ab, in der er seine Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen im Jemen zum Ausdruck brachte. Er nahm mit tiefer Besorgnis die zunehmend prekäre regionale Lage zur Kenntnis, die sich negativ auf die Friedensbemühungen im Jemen sowie auf die Stabilität und Sicherheit in der Region auswirkt.
Der Sondergesandte forderte alle Beteiligten auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und diplomatischen Wegen den Vorrang vor militärischen Optionen zu geben, und rief zur Deeskalation auf. Grundberg wiederholte den früheren Aufruf des UN-Generalsekretärs an alle Beteiligten, Handlungen zu vermeiden, die die Situation im Jemen verschlimmern, die Bedrohung der Seehandelsrouten eskalieren oder die regionalen Spannungen weiter anheizen würden.
In einer Stellungnahme vom Freitag sagte UN-Generalsekretär António Guterres, Angriffe auf die internationale Schifffahrt im Roten Meer seien "nicht akzeptabel" und gefährdeten die Sicherheit der globalen Lieferketten und hätten negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche und humanitäre Lage weltweit. Er forderte die Huthis auf, ihre Angriffe unverzüglich einzustellen, und rief alle Parteien auf, die Resolution des Sicherheitsrats in vollem Umfang zu respektieren.
Die am vergangenen Mittwoch (10. Januar) verabschiedete Resolution 2722 (2024) des Sicherheitsrates fordert die Huthis auf, alle Angriffe auf die Handelsschifffahrt unverzüglich einzustellen. Sie erlaubt keine militärischen Maßnahmen.
Guterres betonte auch die Notwendigkeit, Handlungen zu vermeiden, die die Lage im Jemen weiter verschlechtern könnten. Er rief dazu auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass der Jemen "einen Weg des Friedens einschlägt und dass die bisher geleistete Arbeit zur Beendigung des Konflikts im Jemen nicht verloren geht".
Der Generalsekretär appellierte allerdings auch an alle Mitgliedstaaten, die ihre Schiffe gegen Angriffe verteidigten, dies im Einklang mit dem Völkerrecht zu tun. Er forderte alle beteiligten Seiten auf, die Situation im Interesse des Friedens und der Stabilität im Roten Meer und in der gesamten Region nicht noch weiter zu eskalieren.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Jemen: Eskalation bedeutet eine Katastrophe für die Zivilbevölkerung, die noch immer unter der Krise leidet, sagen INGOs, Erklärung von 26 Hilfsorganisationen, Norwegian Refugee Council, veröffentlicht am 16. Januar 2024 (in Englisch)
https://www.nrc.no/news/2024/january/yemen-escalation-spells-disaster-for-civilians-still-reeling-from-crisis-say-ingos/
Vollständiger Text: Nach Luftangriffen fordert der Generalsekretär die Einhaltung des Völkerrechts und die Vermeidung von Handlungen, welche die Situation im Jemen verschlimmern könnten, Erklärung des Sprechers von UN-Generalsekretär António Guterres, veröffentlicht am 12. Januar 2024 (in Englisch)
https://press.un.org/en/2024/sgsm22103.doc.htm