Zehntausende Rohingya sind Berichten zufolge in Myanmars westlichem Bundesstaat Rakhine vertrieben worden, nachdem die Kämpfe zwischen den Streitkräften Myanmars (MAF) und der bewaffneten ethnischen Organisation Arakan Army (AA) eskalierten. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, hat die kriegführenden Parteien aufgefordert, die Kämpfe einzustellen, die Zivilbevölkerung zu schützen und sofortigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewähren.
Es gibt widersprüchliche Berichte über die Geschehnisse und die derzeitige Lage in der Stadt Buthidaung in Rakhine und in anderen Gegenden sowie darüber, wer die Schuld an der gewaltsamen Vertreibung der Zivilbevölkerung und der Brandstiftung in der Stadt trägt.
"Ich bin zutiefst beunruhigt über Berichte über erneute Gewalt und die Zerstörung von Eigentum in der Stadt Buthidaung im nördlichen Rakhine-Staat in Myanmar, die zur Vertreibung von möglicherweise zehntausenden von Zivilisten, hauptsächlich Rohingya, geführt hat", sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk am Sonntag in einer Stellungnahme.
Die Vereinten Nationen warnen seit Wochen, dass die zunehmenden Kämpfe in Rakhine zwischen dem Militär und der Arakan-Armee sowie die Spannungen zwischen den Rohingya und den ethnischen Rakhine-Gemeinschaften eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen.
Die Vereinten Nationen verfolgen die Situation im Bundesstaat Rakhine weiterhin aufmerksam, "welche die Verwundbarkeit aller Gemeinschaften in einer der ärmsten Regionen des Landes noch verschärft", so ein Sprecher am Montag in New York.
"Das Team vor Ort ist zutiefst beunruhigt über die jüngsten Berichte über eine weitere Eskalation der Gewalt und Zerstörung in den Gemeinden Buthidaung und Maungdaw", sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in einem Pressebriefing.
"Die Vereinten Nationen rufen alle militärischen und politischen Führer sowie alle, die Einfluss auf die Gemeinschaften haben, dazu auf, ihren Teil zur Deeskalation und Entschärfung von Versuchen beizutragen, die Spannungen zwischen den Gemeinschaften, insbesondere zwischen ethnischen Rakhine und Rohingya, wieder aufflammen zu lassen und eine Wiederholung vergangener Menschenrechtsverletzungen im Bundesstaat Rakhine zu vermeiden", sagte er.
Berichten zufolge hat die Arakan-Armee, die überwiegend der Rakhine-Ethnie angehört, am Samstag die Stadt in Brand gesetzt und Zehntausende von Menschen, zumeist Rohinyga, zur Flucht gezwungen. Die bewaffnete Gruppe hat die Vorwürfe bestritten. Die AA behauptete am Samstag, sie habe die Stadt nahe der Grenze zu Bangladesch eingenommen und ihre Streitkräfte hätten alle Armeestützpunkte in Buthidaung in ihre Gewalt gebracht.
Der Sender Radio Free Asia (RFA) zitierte Rohingya-Quellen, die angaben, dass die AA Häuser in mehreren Vierteln der Stadt niedergebrannt habe und dass Zehntausende von Rohingyas aus ihren Häusern geflohen seien, nachdem die Rebellengruppe sie aufgefordert hatte, diese bis Samstag 10 Uhr zu verlassen. AA-Kämpfer hätten auch Tausende von Rohingya in der Nähe des Gefängnisses von Buthidaung zusammengetrieben, sagte eine Person gegenüber RFA.
Der Nachrichtendienst teilte mit, dass er keine der Aussagen bestätigen konnte, da die Telekommunikation unterbrochen sei.
"Angesichts der starken Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen der Rakhine und der Rohingya, die vom Militär aktiv geschürt werden, ist dies eine kritische Zeit, in der das Risiko weiterer Gräueltaten besonders hoch ist", sagte der Hochkommissar für Menschenrechte.
Das UN-Menschenrechtsbüro bemüht sich um die Bestätigung von Informationen, die auf schwere Menschenrechtsverletzungen hindeuten.
Türk appellierte direkt an das myanmarische Militär und die Arakan-Armee, die Kämpfe einzustellen, die Zivilbevölkerung zu schützen, sofortigen und ungehinderten humanitären Zugang zu gewähren und "das Völkerrecht vollständig und bedingungslos einzuhalten - einschließlich der vom Internationalen Gerichtshof bereits angeordneten Maßnahmen zum Schutz der Rohingya."
Im Januar 2020 wies der Internationale Gerichtshof (IGH) Myanmar an, "alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen", um die Begehung von in der Völkermordkonvention definierten Handlungen zu verhindern, einschließlich der Sicherstellung, dass sein Militär und alle irregulären bewaffneten Einheiten diese Handlungen nicht begehen.
Im August 2017 flohen mehr als 700.000 Rohingya nach Cox's Bazar in Bangladesch, um der Verfolgung, Gewalt und schweren Menschenrechtsverletzungen im Bundesstaat Rakhine zu entkommen, nachdem die myanmarische Armee koordinierte Angriffe durchgeführt hatte. Sie schlossen sich Hunderttausenden anderer Rohingya an, die zuvor in dem Land Zuflucht gesucht hatten.
"Ich appelliere auch an Bangladesch, den schutzbedürftigen Menschen, die Sicherheit suchen, erneut Schutz zu gewähren, und an die internationale Gemeinschaft, alle notwendige Unterstützung zu leisten", fügte Türk hinzu.
In einer separaten Erklärung forderte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, am Sonntag die Kriegsparteien auf, die Sicherheit von Zivilisten und humanitären Helfern zu gewährleisten. Er appellierte auch an die Nachbarländer, den Flüchtlingen sicheren Zugang zu gewähren.
Die Vereinten Nationen bezeichnen die Rohingya als die am meisten verfolgte Minderheit der Welt. Myanmars Regierung hat den Rohingya die Staatsbürgerschaft verweigert und betrachtet sie als ausländische Eindringlinge. Die Rohingya haben jahrelang unsägliches Leid ertragen müssen.
Seit Jahrzehnten sind die Rohingya in Myanmar einer institutionalisierten Diskriminierung ausgesetzt. Mehr als 600.000 Rohingya, die im Bundesstaat Rakhine leben, können sich nicht frei bewegen und sind der Verfolgung und Gewalt durch die Regierung ausgesetzt.
Seit dem Bruch eines einjährigen informellen Waffenstillstands zwischen den Konfliktparteien im vergangenen November wurden 15 der 17 Gemeinden in Rakhine von Kämpfen heimgesucht, die Hunderte von Toten und Verletzten forderten und die Zahl der Vertriebenen auf weit über 300.000 ansteigen ließen.
Im Februar kündigten die Militärbehörden Myanmars Pläne zur Durchsetzung eines Einberufungsgesetzes an, wonach ab Mitte April jeden Monat 5.000 Menschen in die myanmarischen Streitkräfte eingezogen werden sollen. Seit dieser Ankündigung sind Zivilisten willkürlichen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen ausgesetzt. Vor allem Angehörige der Rohingya-Gemeinschaft sind davon betroffen.
Seit November letzten Jahres hat das Militär in ganz Nord- und Zentral-Rakhine rasch an Boden gegenüber der Arakan-Armee verloren. Dies hat zu einer Intensivierung der Kämpfe in den Gemeinden Buthidaung und Maungdaw im Vorfeld der erwarteten Schlacht um die Hauptstadt von Rakhine, Sittwe, geführt. In den beiden Gemeinden leben zahlreiche Rohingya, die dadurch in großer Gefahr sind.
"Auch die Hauptstadt des Bundesstaates Rakhine - Sittwe - ist weiterhin Anlass zur Sorge: Es gibt Berichte über Nahrungsmittelknappheit, fehlendes Bargeld, steigende Marktpreise, Wasserknappheit und die Ausbreitung von durch Wasser übertragenen Krankheiten. Humanitäre Hilfe und wichtige Versorgungsleistungen wurden in allen Bundesstaaten stark beeinträchtigt", sagte UN-Sprecher Dujarric heute.
Die anhaltende Eskalation des Konflikts in Myanmar - mit dem schlimmsten Ausmaß an Gewalt seit 2021 - hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschen in fast allen Teilen des Landes, mit alarmierenden Folgen für die Nachbarländer. Der bewaffnete Konflikt hat sich auf viele Teile des Landes ausgeweitet, insbesondere auf den Bundesstaat Rakhine, den Nordwesten, Kachin und den Südosten.
Das Land befindet sich in einer kritischen Phase des mehr als drei Jahre andauernden Konflikts nach dem Staatsstreich, in dem Rebellengruppen erhebliche Gebietsgewinne verzeichnen und beispiellose Angriffe gegen die Junta in Myanmar starten. Die Verschärfung des Konflikts führt zu Vertreibungen und verschlimmert die bestehenden Probleme, was erhebliche humanitäre Folgen hat.
Die Zivilbevölkerung ist die Hauptleidtragende der anhaltenden Kämpfe zwischen den Streitkräften Myanmars und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, die mit tödlichen Luftangriffen und schwerem Beschuss, auch in Wohngebieten, einhergehen.
Gleichzeitig nimmt der Hunger im ganzen Land zu. Im Jahr 2024 werden voraussichtlich etwa 12,9 Millionen Menschen - fast 25 Prozent der Bevölkerung - von Ernährungsunsicherheit betroffen sein, mit einem erhöhten Risiko von Unterernährung, speziell bei Kindern und schwangeren Frauen.
In Myanmar sind 18,6 Millionen Frauen, Kinder und Männer auf humanitäre Hilfe angewiesen - die fünftgrößte Zahl weltweit. Unter den Notleidenden befinden sich 6 Millionen Kinder. Das Gesundheitssystem liegt in Trümmern, und die grundlegenden Medikamente gehen zur Neige. Allein in diesem Jahr werden schätzungsweise 12 Millionen Menschen in Myanmar medizinische Soforthilfe benötigen.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Kommentar des UN-Hochkommissars für Menschenrechte Volker Türk zur Gewalt in Myanmars Rakhine-Staat, UN-Büro des Hochkommissars für Menschenrechte, Erklärung, veröffentlicht am 19. Mai 2024 (in Englisch)
https://www.ohchr.org/en/statements-and-speeches/2024/05/comment-un-high-commissioner-human-rights-volker-turk-violence