
Das Land
Haiti ist ein karibischer Staat auf der Insel Hispaniola, der gemeinsame Landgrenzen mit der Dominikanischen Republik teilt. Nach der Erklärung seiner Unabhängigkeit im Jahr 1804 wurde Haiti das erste Land der Welt, das von ehemaligen Sklaven regiert wurde. Der Staat erstreckt sich über eine Fläche von 27.750 Quadratkilometern. Seine Hauptstadt ist Port-au-Prince. Im Jahr 2022 hatte das Land eine geschätzte Bevölkerung von rund 11,3 Millionen Menschen. Haiti ist das am wenigsten entwickelte Land der westlichen Hemisphäre und einer der fragilsten Staaten der Welt.
Die humanitäre Lage
In Haiti benötigen Millionen von Menschen humanitäre Hilfe zur Bekämpfung des Hungers, während sich die Sicherheitslage zunehmend verschärft. Das Land wird seit langem von Naturkatastrophen heimgesucht und ist nach wie vor äußerst anfällig für Wirbelstürme, Erdbeben und Überschwemmungen. Im Januar 2010 wurde Haiti von einem schweren Erdbeben der Stärke 7,0 heimgesucht, dessen Epizentrum etwa 25 km westlich der Hauptstadt Port-au-Prince lag. Schätzungen zufolge kamen über 300.000 Menschen ums Leben und etwa 1,5 Millionen wurden obdachlos. Das Erdbeben wurde als das Schlimmste in dieser Region in den letzten 200 Jahren bewertet. Am 14. August 2021 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,2 den Südwesten Haitis, das mehr als 2.200 Menschen tötete, über 800.000 Menschen in Mitleidenschaft zog und weitreichende Zerstörungen verursachte.
Die Katastrophe im Jahr 2021 verschärfte die ohnehin schon schwierige humanitäre Lage, die von anhaltender politischer Instabilität, sozioökonomischer Krise, bandenbedingter Unsicherheit, Binnenvertreibung und zunehmender Ernährungsunsicherheit und Unterernährung geprägt war. Die soziopolitische Lage in Haiti verschlechtert sich derzeit weiter, während Gewalt und Kriminalität vor allem im urbanen Bereich der Hauptstadt zunehmen.
Entführungen, Morde und Bandengewalt haben die wirtschaftliche Lage und die Unsicherheit, insbesondere in Port-au-Prince, zusätzlich verschlimmert. Die zwangsweise Rückführung Zehntausender haitianischer Bürger, die in die Nachbarländer ausgewandert sind, hat die ohnehin schon kritische Lage im Land weiter verschlechtert.
Weit verbreitete Armut, steigende Lebenshaltungskosten, geringe landwirtschaftliche Produktion und teure Nahrungsmittelimporte haben die bestehende Ernährungsunsicherheit in Haiti verschärft, so dass viele Frauen, Männer und Kinder an Hunger und Unterernährung leiden. Nach der jüngsten IPC-Analyse sind 4,35 Millionen Menschen - mehr als 40 Prozent der Bevölkerung - zwischen August 2023 und Februar 2024 von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Etwa 1,4 Millionen Menschen leiden unter einer Hungernotlage. Gegenwärtig ist niemand im Land von katastrophalem Hunger bedroht.
Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass im Jahr 2023 mehr als 5,2 Millionen Menschen (46 % der Bevölkerung) humanitäre Hilfe benötigen werden, darunter fast 3 Millionen Kinder. Humanitäre Organisationen benötigen im Jahr 2023 720 Millionen US-Dollar, um den von der komplexen Krise betroffenen Menschen lebensrettende Hilfe zukommen zu lassen.
Die Gewalt in Port-au-Prince hat die ohnehin schon prekäre Situation für Kinder und ihre Familien noch verschlimmert. 500.000 Kinder haben keinen regelmäßigen Zugang zu Schulen, nur begrenzten Zugang zu Wasser und alarmierende Unterernährungsraten. Die bewaffnete Gewalt hat die Zahl der Kinder in Haiti, die an schwerer akuter Unterernährung ("Severe Acute Malnutrition", SAM), auch bekannt als schwere Auszehrung ("severe wasting"), leiden, erhöht. Es wird erwartet, dass im Jahr 2023 mehr als 115.600 Kinder an schwerer Auszehrung leiden werden, verglichen mit 87.500 im letzten Jahr.
Im Oktober 2022 brach in Haiti erneut die Cholera aus. Bis Jui 2023 gab es mehr als 54,800 Verdachtsfälle oder bestätigte Fälle und 793 gemeldete Todesfälle durch Cholera. Experten befürchten, dass die tatsächliche Zahl aufgrund von Unterberichterstattung deutlich höher ist.
Der Humanitäre Reaktionsplan (HRP) der Vereinten Nationen 2023 für Haiti erfordert 720 Millionen US-Dollar, um mehr als drei Millionen Menschen zu unterstützen. Bis September ist der HRP nur zu 29 Prozent finanziert. Im Juli gab das Welternährungsprogramm (WFP) bekannt, dass es gezwungen war, die Zahl der Menschen, die in Haiti Nahrungsmittelsoforthilfe erhalten, aufgrund der schwindenden Mittel um ein Viertel zu reduzieren.
Die Sicherheitslage
Präsident Jovenel Moïse wurde am 7. Juli 2021 ermordet, was das Land in eine extrakonstitutionelle Regierungsstruktur führte und zur wachsenden Fragilität des Landes beitrug. Die fünfjährige Amtszeit von Präsident Moïse wäre am 7. Februar 2022 zu Ende gegangen; seine Ermordung stürzte Haiti in eine tiefere politische Krise. Infolgedessen wurden die nationalen und regionalen Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben, und ein neuer Termin für die Präsidentschaftswahlen wurde noch nicht festgelegt.
Am 20. Juli 2021 setzte die haitianische Regierung Ariel Henry als Premierminister ein. Mit Stand vom August 2023 hatte Haiti keinen Präsidenten, Parlament und Senat hatte kein gewähltes Mitglied mehr und der Oberste Gerichtshof funktionierte nicht, weil es an Richtern mangelte. Am 21. Dezember 2022 wurde von einem breiten Spektrum von haitianischen Politikern, Mitgliedern der Zivilgesellschaft, Geistlichen, Gewerkschaften und dem privatwirtschaftlichen Sektor eine nationale Konsensvereinbarung (National Consensus Agreement) über das weitere Vorgehen im Hinblick auf die Durchführung von Wahlen unterzeichnet.
Gleichzeitig haben Entführungen, Morde und Bandenkriminalität die wirtschaftliche Lage verschlechtert und die Unsicherheit, insbesondere in der Hauptstadt, erhöht. In Port-au-Prince und der Metropolregion sind etwa 150 kriminelle Gruppen aktiv, von denen viele zwei der wichtigsten kriminellen Vereinigungen angehören, der G-Pèp-Föderation und der G9-Allianz.
Die Banden kontrollieren oder beeinflussen 80 Prozent der Hauptstadt. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen und Analysten sind viele der Banden mit politischen Akteuren verbunden. Gangs kontrollieren auch strategische Zugangswege im Land und haben ihre kriminellen Aktivitäten auf ganz Haiti ausgeweitet. Bewaffnete Banden verüben schwere Übergriffe auf die Bevölkerung, darunter auch sexuelle Gewalt in großem Maßstab, und zwingen ganze Gemeinden zur Flucht.
Seit Juni 2021 haben wiederholte territoriale Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Gangs in und um Port-au-Prince Tausende von Menschen gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Im Jahr 2022 hat eine erneute Welle der Gewalt durch Banden Hunderte von Menschen getötet und die humanitäre und politische Krise in Haiti weiter verschärft, so dass Zehntausende aus ihren Häusern zu fliehen.
Mindestens 195.000 Menschen sind derzeit durch bandenbedingte Gewalt in Haiti zu Vertriebenen geworden, und Zehntausende haben versucht, aus dem Land zu fliehen. Trotz wiederholter Aufrufe der Vereinten Nationen, Haitianer nicht gewaltsam nach Haiti zurückzuführen, haben andere Länder in der ersten Hälfte des Jahres 2023 fast 74.000 Menschen nach Haiti zurückgeführt.
Seit Anfang 2023 haben Tötungen, Entführungen und sexuelle Gewalt durch kriminelle Gruppen in und um Port-au-Prince dramatisch zugenommen. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) wurden zwischen Anfang 2023 und Mitte August mindestens 2.439 Menschen getötet, weitere 902 verletzt und 951 Personen entführt.
Außerdem ist in Haiti ein alarmierender Anstieg der Lynchmorde an mutmaßlichen Bandenmitgliedern zu verzeichnen. Zwischen dem 24. April und Mitte August wurden mehr als 350 Menschen von der lokalen Bevölkerung und Bürgerwehrgruppen gelyncht. Zu den Ermorderten gehören laut OHCHR 310 mutmaßliche Bandenmitglieder, 46 Personen aus der Bevölkerung und ein Polizeibeamter.
Die Vereinten Nationen warnen, dass der Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen durch die unsichere Lage und die anhaltende Treibstoffkrise ernsthaft gefährdet ist. Die Zunahme der Bandengewalt hat die Regierung Haitis veranlasst, die internationale Gemeinschaft um Hilfe zu bitten. Um der Gewalt durch Banden Einhalt zu gebieten, bat die Regierung von Premierminister Ariel Henry um die Entsendung einer schnellen Eingreiftruppe nach Haiti.
Die Forderung wurde vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, unterstützt. Der UN-Sicherheitsrat hat die Angelegenheit erörtert, aber noch keine Entscheidung getroffen. Auch der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hat die internationale Gemeinschaft aufgefordert, dringend die Entsendung einer zeitlich befristeten Spezialeinheit zu erwägen.
Ende Juli bot Kenia an, eine multinationale Polizeitruppe zu leiten, um Haiti zu stabilisieren. Die kenianische Regierung erklärte, sie werde ihr Angebot formalisieren, sobald der UN-Sicherheitsrat eine Resolution mit einem Mandat für die Nicht-UN-Truppe verabschiedet hat. Inzwischen haben die Regierungen der karibischen Länder Bahamas und Jamaika angeboten, sich Kenia anzuschließen und zu einer multinationalen Truppe beizutragen.
Im August stellte der UN-Generalsekretär in einem Bericht an den Sicherheitsrat fest, dass die derzeitige Situation für eine UN-Friedensmission nicht geeignet sei, und Guterres schlug zwei Optionen für die Unterstützung einer multinationalen Truppe durch die Vereinten Nationen vor. Die erste Option wäre die logistische Unterstützung für die multinationale Truppe und die haitianische Nationalpolizei. Die zweite Option wäre die Stärkung des Integrierten Büros der Vereinten Nationen in Haiti (BINUH), um dessen derzeitige Unterstützung für die haitianische Polizei auszuweiten.
Spenden
Ihre Spende für die Nothilfe in Haiti kann dazu beitragen, dass die Organisationen der Vereinten Nationen, internationale humanitäre Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und ihre Partner vor Ort den Menschen, die es am nötigsten brauchen, rasch Wasser, Nahrungsmittel, Medikamente, Unterkünfte und andere Hilfsgüter zur Verfügung stellen können.
- Welternährungsprogramm (WFP): Haiti Krise
https://de.wfp.org/krisen/haiti - UNICEF Deutschland: Spenden Haiti
https://www.unicef.de/informieren/projekte/suedamerika-mittelamerika-7082/haiti-19502 - medico international: Nothilfe Haiti
https://www.medico.de/nothilfe-haiti - Diakonie Katastrophenhilfe: Haiti
https://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/projekte/haiti - Welthungerhilfe: Spenden Haiti
https://www.welthungerhilfe.de/spenden-haiti
Sie können auch eine nicht zweckgebundene Spende in Betracht ziehen an humanitäre Organisationen, welche in Haiti aktiv sind.
- UN-Krisenhilfe: Zentraler Nothilfefonds
https://crisisrelief.un.org/t/cerf - Ärzte ohne Grenzen: Haiti
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/einsatzlaender/haiti
Weitere Organisationen, an die Sie spenden können, finden Sie unter: Humanitäre Krisenhilfe, Flucht und Vertreibung, Kinder in Not, Hunger und Ernährungsunsicherheit, Medizinische Nothilfe, Vulnerable Gruppen, Glaubensbasierte humanitäre Organisationen und Menschenrechtsorganisationen.
Weitere Informationen
- International Crisis Group: Haiti (in Englisch)
https://www.crisisgroup.org/latin-america-caribbean/haiti - European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations: Haiti (in Englisch)
https://civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/where/latin-america-and-caribbean/haiti_en - Human Rights Watch World Report 2023: Haiti (in Englisch)
https://www.hrw.org/world-report/2023/country-chapters/haiti - ACAPS: Haiti (in Englisch)
https://www.acaps.org/country/haiti/crisis/complex-crisis - United Nations Integrated Office in Haiti (BINUH) (in Englisch)
https://binuh.unmissions.org/en