Die Leiter von mehr als einem Dutzend UN-Organisationen und internationalen humanitären Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben am Freitag in einer seltenen gemeinsamen Erklärung Maßnahmen zur Bewältigung der Krisen in der zentralen Sahelzone gefordert, während der steigende Bedarf an humanitärer Hilfe und Schutzmaßnahmen Entwicklungserfolge zunichtezumachen droht. Im Jahr 2024 werden rund 17 Millionen Menschen - ein Fünftel der Bevölkerung - in Burkina Faso, Mali und Niger auf humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen sein.
In ihrer Stellungnahme weisen die humanitären Verantwortlichen der Welt darauf hin, dass die Krise in der zentralen Sahelzone unverhältnismäßig viele Frauen und Mädchen betrifft und die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Region noch verschärft. Mindestens 3 Millionen Menschen in der Region sind derzeit durch Gewalt vertrieben, die meisten davon Frauen und Kinder.
Allein im Oktober und November 2023 wurden Berichten zufolge fast 700 Zivilisten getötet, wie aus den Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) hervorgeht. Auch die Grundversorgung ist durch die Gewalt beeinträchtigt: Rund 8.400 Schulen und 470 Gesundheitseinrichtungen sind nicht mehr funktionsfähig. Diese alarmierenden Entwicklungen verschärfen den humanitären Bedarf und "hindern die Menschen daran, ihre Menschenrechte in vollem Umfang wahrzunehmen".
Die Erklärung vom Freitag wurde vom Ständigen Interinstitutionellen Ausschuss (Inter-Agency Standing Committee, IASC) herausgegeben, dem höchsten humanitären Koordinierungsgremium des UN-Systems, in dem die Leiter von 20 UN- und Nicht-UN-Organisationen vertreten sind.
Zu den führenden Vertretern der Gruppe, welche die Stellungnahme unterzeichneten, gehörten der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR), die Leiter des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des Welternährungsprogramms (WFP), der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sowie CARE International, Mercy Corps und Save the Children US als Vertreter der weltweiten humanitären Nichtregierungsorganisationen.
Die zentrale Sahelzone ist mit einer der am schnellsten wachsenden - und einer der am meisten vergessenen - humanitären Krisen der Welt konfrontiert. Bewaffnete Konflikte, die Verschlechterung der Sicherheitslage, politische Instabilität und weit verbreitete Armut sind die Hauptursachen für den beispiellosen Bedarf an humanitärer Hilfe. Sicherheitsvorfälle, Angriffe und Entführungen sind für Millionen von Zivilisten und humanitären Helfern vor Ort tägliche Realität.
In den letzten zehn Jahren kam es in der zentralen Sahelzone zu immer gewalttätigeren bewaffneten Konflikten und zum raschen Auftauchen extremistischer Gruppen. Das Erstarken nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen (NSAG) hat die Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen angeheizt, der Tausende zum Opfer gefallen sind. Die intensive und wahllose Gewalt hat Millionen von Menschen in der Region zur Flucht gezwungen, sowohl innerhalb der Länder als auch über die Grenzen hinweg.
In Burkina Faso hat sich die Sicherheitslage nach zwei militärischen Staatsstreichen im Jahr 2022 verschlechtert. Dieses Muster wiederholt sich in den Nachbarländern von Burkina Faso, Mali und Niger. In Mali kam es im Mai 2021 zu einer weiteren militärischen Machtübernahme. In Niger putschte die Präsidialgarde im Juli 2023 und setzte einen General als Machthaber ein.
Die Bevölkerung von Burkina Faso befindet sich weiterhin in einer multidimensionalen humanitären Krise, und mehr als 2 Millionen Menschen sind im Land auf der Flucht. Eine De-facto-Blockade von Gebieten, in denen mehr als 1 Million Menschen leben oder Zuflucht gesucht haben, durch bewaffnete Gruppen hat dazu geführt, dass die Menschen sich nicht mehr frei bewegen können und nicht mehr mit dem Nötigsten versorgt werden.
In Burkina Faso sind die Hilfsorganisationen aufgrund der unsicheren Lage und anderer Probleme zunehmend auf teure Lufttransporte angewiesen, was die Reichweite der humanitären Hilfe insgesamt verringert. Die humanitären Organisationen arbeiten mit den Behörden zusammen, um den Zugang zu verbessern, wobei sie sich der Notwendigkeit bewusst sind, so effizient und effektiv wie möglich zu reagieren, um wichtige Hilfe zu liefern, auch über den Landweg.
In Mali hält die Unsicherheit in Teilen des Nordens, des Ostens und des Zentrums an, was in einigen Fällen zu neuen Vertreibungen und neuem Bedarf führt und die humanitären Maßnahmen vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Prognosen zufolge werden im Jahr 2024 mehr als 40 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen sein. Die Hilfsorganisationen sind bestrebt, den am meisten gefährdeten Männern, Frauen und Kindern Hilfe und Schutz zu gewähren.
"Es werden jedoch dringend zusätzliche Ressourcen für kritische Unterstützungsleistungen benötigt - einschließlich Logistik, Sicherheit, Minenräumung und medizinische Evakuierungskapazitäten sowie die Einbeziehung der Bevölkerung", heißt es in der Erklärung.
In Niger hatten die Partner der humanitären Hilfe in den vergangenen sechs Monaten aufgrund der Grenzschließungen nach dem Militärputsch Schwierigkeiten, Hilfsgüter ins Land zu bringen. Das Land ist nach wie vor mit einer Kombination von Krisen konfrontiert: anhaltende bewaffnete Konflikte, klimabedingte Katastrophen, Ernährungskrisen und Epidemien. Im Jahr 2024 werden schätzungsweise 4,3 Millionen Menschen, darunter 2,4 Millionen Kinder, humanitäre Hilfe benötigen. Die geschätzte Zahl der Menschen, deren Ernährung während der mageren Jahreszeit nicht gesichert ist, beläuft sich auf 3,3 Millionen.
"Die Prognosen für den humanitären Bedarf in den kommenden Monaten sind äußerst besorgniserregend und könnten durch Missernten, Unsicherheit, Vertreibung, Schutzrisiken, die Auswirkungen der Sanktionen und die Folgen der Aussetzung der Entwicklungshilfe noch verschärft werden", so die humanitären Entscheidungsträger.
Trotz der Risiken und begrenzten Ressourcen leisten nationale und internationale humanitäre Organisationen in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen weiterhin humanitäre Hilfe. Bis Ende September hatten sie im Jahr 2023 rund 6,3 Millionen Menschen in der zentralen Sahelzone unterstützt.
Die Verantwortlichen der humanitären Organisationen warnen jedoch davor, dass den Hilfsmaßnahmen lähmende Finanzierungsengpässe drohen. Im Jahr 2023 erhielten die humanitären Appelle für die drei Länder der Zentralsahelzone nur etwa ein Drittel der benötigten Mittel - rund 781 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2024 werden rund 2,2 Milliarden Dollar benötigt, um 10,4 Millionen Menschen in der Region zu unterstützen.
Die Hilfsorganisationen sind sich auch darüber im Klaren, dass humanitäre Hilfe zwar dringend benötigt wird, aber nicht die Lösung für die Zyklen von Hunger, Vertreibung und Krankheiten sein kann, welche die Krise in Burkina Faso, Mali und Niger kennzeichnen.
"Investitionen in die Widerstandsfähigkeit, die nachhaltige Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt sind entscheidend, um den Gemeinschaften zu helfen, voranzukommen und einen weiteren Anstieg des humanitären Bedarfs zu verhindern", heißt es in der Stellungnahme.
Es seien auch integrative und wirksame Beteiligungskanäle erforderlich, damit die verschiedenen Stimmen der betroffenen Menschen zu Programmen und Entscheidungsprozessen beitragen können, die ihr Leben und ihre Rechte betreffen.
"Diese Investitionen sollten durch erweiterte Partnerschaften mit lokalen Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft, einschließlich von Frauen geführter Organisationen, ergänzt werden", erklärten die führenden Vertreter und warnten davor, Maßnahmen zu ergreifen, die das Leid der Zivilbevölkerung noch verschlimmern könnten, wie etwa ungezielte Sanktionen oder die Aussetzung der Entwicklungshilfe.
"Seit Jahren ist sich die Welt einig, dass wir mehr tun müssen, um den Menschen in Burkina Faso, Mali und Niger zu helfen. Jetzt ist es an der Zeit, diesen Worten auch Taten folgen zu lassen."
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Erklärung der Hauptverantwortlichen des Ständigen Interinstitutionellen Ausschusses, Jeder fünfte Mensch in der zentralen Sahelzone benötigt humanitäre Hilfe: Jetzt ist es an der Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen, Inter-Agency Standing Committee (IASC), Erklärung, veröffentlicht am 12. Januar 2024 (in Englisch)
https://interagencystandingcommittee.org/about-inter-agency-standing-committee/statement-principals-inter-agency-standing-committee-one-five-people-central-sahel-needs