Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der ukrainischen Oblast Chersonska am Dienstag hat dazu geführt, dass mindestens 40 Städte und Dörfer teilweise überflutet wurden, was schwerwiegende Folgen für Hunderttausende von Menschen im Süden der Ukraine haben dürfte. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, bezeichnete die Zerstörung als "monumentale humanitäre, wirtschaftliche und ökologische Katastrophe", die direkt auf den Einmarsch Russlands in das Land zurückzuführen sei.
Nach Angaben ukrainischer Behörden hat die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka, das den Fluss Dnipro an der Frontlinie in Nowa Kachowka überquert, zu massiven Überschwemmungen geführt, die Hunderttausende von Menschen zur Flucht zwangen und mindestens 40 Städte und Dörfer betrafen, die ganz oder teilweise überflutet wurden.
Die ukrainische Regierung kündigte am Dienstag die Evakuierung von rund 16.000 Menschen an, die ihre Häuser durch die Überschwemmungen verloren haben oder deren Häuser schwer beschädigt wurden. Die Menschen werden mit Bussen und Zügen nach Mykolajiw und weiter nach Odessa, Kiew und anderen Städten in der Ukraine evakuiert.
Das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) warnte am Dienstag, dass die Überschwemmungen, von denen in den kommenden Tagen rund 80 Siedlungen betroffen sein dürften, den Zugang zur Grundversorgung, einschließlich Nahrungsmitteln und Wasser, ernsthaft beeinträchtigen und die ohnehin schon prekäre humanitäre Lage weiter verschlechtern werden.
Nach Angaben des OCHA war es aufgrund des fehlenden Zugangs für UN-Organisationen und ukrainische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nicht möglich, die Folgen der Überschwemmungen in den derzeit von der Russischen Föderation besetzten Gebieten zu beurteilen und dort Hilfe zu leisten.
Die humanitären Organisationen weisen darauf hin, dass die Überschwemmungen dazu führen können, dass Minen und explosive Kampfmittel in die zuvor als sicher eingestuften Gebiete gelangen, wodurch Tausende von Menschen in einem Gebiet, das bereits von Sprengkörpern betroffen ist, zusätzlich gefährdet werden. Nach Angaben der ukrainischen Behörden sind mindestens 30 Prozent des ukrainischen Territoriums mit Minen verseucht, wobei die Oblast Chersonska am stärksten betroffen ist.
Der Kachowka-Stausee, der durch den Kachowka-Damm entstanden ist und sich über 240 Kilometer durch die Oblaste Saporischka, Dnipropetrowska und Chersonska erstreckt, ist eine der größten Wasserquellen im Süden des Landes. Der Stausee versorgt die großen Industriestädte, in denen fast 700.000 Menschen leben, mit Wasser, einschließlich Trinkwasser.
Ein unkontrolliertes Absinken des Wasserspiegels des Kakhovka-Stausees könnte zudem die Sicherheit des Kernkraftwerks Saporischschja, des größten Kernkraftwerks in Europa, beeinträchtigen. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) beobachtet die Situation in Saporischschja genau und hat bisher keine unmittelbare Bedrohung festgestellt.
Hilfsorganisationen haben rasch humanitäre Soforthilfe mobilisiert, um mehr als 16.000 von den Überschwemmungen betroffenen Menschen dringend zu Hilfe zu kommen. Nach Angaben von OCHA wurden sofort humanitäre Teams an Bahnhöfen und Busbahnhöfen in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten in der Oblast Chersonska, in der Stadt Mykolaiv und in anderen Gebieten eingesetzt, um die Zivilbevölkerung, darunter Tausende von evakuierten Kindern, zu unterstützen.
Hilfsorganisationen versorgen die Menschen, die aus den betroffenen Gebieten eintreffen, mit Nahrungsmitteln, Wasser, Bargeld, Rechtsbeistand und psychologischer Hilfe. Weitere Lagebeurteilungen und Nothilfemaßnahmen sind im Gange.
Unterdessen hat der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen (ERC) den UN-Sicherheitsrat am Dienstag gewarnt, dass die Zerstörung des Staudamms des Wasserkraftwerks Kachowka schwerwiegende und weitreichende Folgen für Tausende von Menschen im Süden der Ukraine haben wird.
"Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen, aber schon jetzt ist klar, dass sie für Tausende von Menschen in der Südukraine - auf beiden Seiten der Frontlinie - schwerwiegende und weitreichende Folgen haben wird, da sie ihre Häuser, Nahrungsmittel, sauberes Wasser und ihre Lebensgrundlage verlieren werden", sagte Martin Griffiths, Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator.
Er bezeichnete die Zerstörung als "den größten Schaden an der zivilen Infrastruktur seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022", als er das 15-köpfige Gremium auf den neuesten Stand brachte. Griffiths betonte, dass der unmittelbare Bedarf an humanitärer Hilfe mit dem Fortschreiten des Hochwassers voraussichtlich noch steigen wird.
"Die heutigen Nachrichten bedeuten, dass die Notlage der Menschen in der Ukraine noch schlimmer sein wird als die Bilder, die wir bisher gesehen haben. Es wird erwartet, dass der unmittelbare Bedarf an humanitärer Hilfe in den kommenden Tagen mit dem Anstieg des Hochwassers und der weiteren Bewertung der Situation und der Hilfsmaßnahmen zunehmen wird", so der Nothilfekoordinator.
Auch wenn die Vereinten Nationen keinen Zugang zu unabhängigen Informationen über die Umstände besitzen, die zur Zerstörung des Staudamms geführt haben, ist das Völkerrecht doch eindeutig: Anlagen, die gefährliches Potenzial enthalten, müssen gerade wegen ihrer Zerstörungskraft besonders geschützt werden.
"Bei allen Arten von Militäroperationen muss daher stets darauf geachtet werden, dass Zivilisten und zivile Infrastrukturen geschont werden", betonte Griffiths.
Die Regeln des humanitären Völkerrechts schützen Staudämme ausdrücklich, da ihre Zerstörung eine Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellt. Russland kontrolliert den Damm selbst und das linke Ufer des Dnipro, während die Ukraine das rechte Ufer kontrolliert. Die Russische Föderation und die Ukraine haben sich gegenseitig die Schuld an der Zerstörung des östlich von Cherson gelegenen Staudamms gegeben.
Es wird nicht einfach sein, alle Betroffenen zu erreichen, sagte Griffiths.
"Die Menschen in der Ukraine haben eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit bewiesen. Unsere dringende humanitäre Aufgabe besteht darin, ihnen weiterhin zu helfen, zu überleben, in Sicherheit zu sein und dann eine Zukunft zu haben. Wir werden dies nach bestem Wissen und Gewissen tun", betonte er.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Mit der Zerstörung des Kherson-Damms wird die Notlage der ukrainischen Bevölkerung nur noch schlimmer, warnt der Nothilfekoordinator den Sicherheitsrat (in Englisch)
https://reliefweb.int/report/ukraine/kherson-dams-destruction-plight-ukraines-people-will-only-get-worse-emergency-relief-coordinator-warns-security-council
Vollständiger Text: Ukraine - Kurzbericht zur humanitären Lage und Reaktion #1: Zerstörung des Kachowka-Damms (6. Juni 2023) [EN/UK] – Ukraine (in Englisch)
https://reliefweb.int/report/ukraine/ukraine-humanitarian-situation-and-response-flash-update-1-destruction-kakhovka-dam-6-jun-2023-enuk