Die anhaltende politische Instabilität und die bewaffneten Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo, DRK) haben die Nahrungsmittelproduktion und die Versorgungssysteme erschüttert, erklärte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) am Dienstag. Unterdessen warnte die Nichtregierungsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC) heute, dass das extreme Ausmaß an Gewalt, Hunger und Vertreibung mit wenig finanzieller Unterstützung, Gleichgültigkeit der Medien und Vernachlässigung einhergeht, während sich die Situation im östlichen Teil des Landes in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert hat.
Wie das WFP am Dienstag mitteilte, haben die massive Vertreibung von Menschen, die Zerstörung der Infrastruktur und die Unterbrechung der landwirtschaftlichen Aktivitäten zu einer weit verbreiteten Nahrungsmittelknappheit und einer erhöhten Anfälligkeit für Hunger geführt. 1,5 Millionen Menschen befinden sich in einer Notsituation der Ernährungsunsicherheit.
Mehr als 6,2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben worden. Die meisten Binnenvertriebenen sind aus ihren Häusern in den drei östlichen Provinzen Ituri, Nord-Kivu und Süd-Kivu geflohen. Der Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat eine Krise ausgelöst, die mit Ernährungsunsicherheit, Unterernährung, Gesundheit und Bildung sowie dem Zugang zu sauberem Wasser und Unterkünften einhergeht.
Während im ganzen Land rund 26 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, leiden mindestens 6,7 Millionen Menschen in den Provinzen Ituri, Nord-Kivu und Süd-Kivu unter akuter Ernährungsunsicherheit. Schätzungsweise 2,8 Millionen Kinder in der DR Kongo sind akut mangelernährt.
"In meinen Gesprächen mit den Vertriebenen im Osten der DR Kongo war ich beeindruckt von ihrer Stärke im Angesicht der Widrigkeiten. Ihre Herausforderungen, wie der tägliche Kampf um ausreichend Nahrung und die zusätzlichen Gefahren, denen Frauen bei der Nahrungssuche ausgesetzt werden, sind sehr besorgniserregend", sagte Peter Musoko, WFP-Länderdirektor in der Demokratischen Republik Kongo.
"Es ist offensichtlich, dass die von uns geleistete Hilfe, so wirksam sie auch sein mag, verstärkt werden muss, um ihr Wohlergehen zu gewährleisten."
4,4 Millionen Menschen sind von Unterernährung betroffen, während der fehlende Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen den Schutz der Zivilbevölkerung zusätzlich erschwert und der geschlechtsspezifischen Gewalt Vorschub geleistet hat. Mit jedem Tag, der verstreicht, gefährdet die Situation im Osten der Demokratischen Republik Kongo das Leben von Frauen und Kindern weiter.
Das WFP benötigt 728 Millionen US-Dollar für seine Hilfsmaßnahmen in den östlichen Provinzen des Landes, aber es besteht eine enorme Finanzierungslücke von 567 Millionen US-Dollar, was 78 Prozent der benötigten Mittel für die nächsten sechs Monate (bis Januar 2024) entspricht.
"Die Situation im Osten der Demokratischen Republik Kongo erfordert unsere sofortige Aufmerksamkeit. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel, und die Kosten der Untätigkeit haben unabsehbare Folgen für die Menschen", betonte Musoko.
"Die DRK braucht unsere sofortige Aufmerksamkeit und Unterstützung, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Wir ersuchen die Regierungen, Geber und humanitären Partner, uns in dieser Zeit der Not beizustehen".
Auf Fragen von Journalisten erklärte der WFP-Länderdirektor, dass die Präsenz der UN-Stabilisierungsmission in der DRK (MONUSCO) im östlichen Teil des Landes sehr wichtig sei. Wenn die UN-Mission abziehe, sei es schwierig, sich vorzustellen, wie sich die Situation entwickeln werde.
Seit mehreren Wochen führen die UN-Mission und die kongolesischen Streitkräfte eine gemeinsame Operation in Ituri und Nord-Kivu durch, bei der die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt und mehrere Angriffe bewaffneter Gruppen vereitelt wurden.
MONUSCO, die größte UN-Friedensmission der Welt, soll sich bis 2024 aus der DR Kongo zurückziehen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen haben die Angriffe bewaffneter Gruppen in der DRK zunehmend verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere in den Provinzen Ituri, Nord-Kivu und Süd-Kivu. Letzte Woche veröffentlichte das Gemeinsame Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (UNJHRO) einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe in der ersten Jahreshälfte.
Aus dem Bericht geht hervor, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 die meisten Zivilisten im Osten der Demokratischen Republik Kongo getötet wurden, wobei bewaffnete Gruppen für die Mehrzahl der dokumentierten Todesopfer verantwortlich waren.
In der östlichen Demokratischen Republik Kongo sind mehrere nichtstaatliche bewaffnete Gruppen aktiv, darunter die Rebellengruppe Mouvement du 23 mars (M23), die militante Gruppe CODECO (Coopérative pour le développement du Congo), die Rebellen der Allied Democratic Forces (ADF) und die militanten Mai-Mai-Kämpfer.
Im Zusammenhang mit der Krise hat die Europäische Union (EU) heute eine neue humanitäre Luftbrücke für den Osten der Demokratischen Republik Kongo eingerichtet, über die lebenswichtige Güter in die Stadt Goma, die Hauptstadt von Nord-Kivu, transportiert werden. Mit den Hilfsgütern soll die humanitäre Hilfe im Osten des Landes verstärkt werden, wo sich die ohnehin schon schwierige Lage weiter verschlechtert.
Nach Angaben der EU sollen bis Ende August 2023 insgesamt acht Flüge stattfinden. Die neue humanitäre Luftbrücke folgt auf eine ähnliche Aktion zwischen März und Mai 2023, bei der mit sieben Flügen insgesamt 260 Tonnen Hilfsgüter transportiert wurden.
Ebenfalls heute erklärte die internationale humanitäre Organisation Norwegian Refugee Council, dass die beispiellose Krise in der DR Kongo "ignoriert" werde. Nach Ansicht des NRC vernachlässigt die Welt eine humanitäre Krise immensen Ausmaßes in einer Region, in welcher der Bedarf an humanitärer Hilfe seit Jahrzehnten enorm ist.
"Die fehlende Aufmerksamkeit für das beispiellose Leid im Osten des Kongo ist unverzeihlich. Es handelt sich um die größte Hungerkrise der Welt. 25 Millionen Menschen sind weitgehend auf sich allein gestellt und sehen sich mit Hunger, Krankheiten und Angriffen konfrontiert", sagte NRC-Generalsekretär Jan Egeland, nachdem er diese Woche die Provinz Ituri besucht hatte.
"Die Menschen, mit denen ich zusammengetroffen bin, haben mir von extremem menschlichem Leid berichtet: bewaffnete Gruppen, die wehrlose Familien angreifen, Frauen und Mädchen, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind, Kinder, die nicht zur Schule gehen können, rapide schwindende Nahrungsmittelvorräte und Trinkwassermangel. Ich habe selten einen humanitären Bedarf in diesem Ausmaß gesehen", sagte er.
Acht Monate seit Beginn des Jahres 2023 ist erst ein Drittel der erforderlichen Mittel für die geplante humanitäre Hilfe in der DR Kongo eingegangen. Im humanitären Reaktionsplan (HRP) 2023 für die Demokratische Republik Kongo werden 2,3 Milliarden US-Dollar für die lebensrettende Hilfe für Millionen von Menschen veranschlagt. Mit Stand vom 23. August ist der HRP nur zu 34 Prozent finanziert. Für den Regionalen Flüchtlingsreaktionsplan (RRP) 2023 für die Demokratische Republik Kongo werden 549 Millionen US-Dollar benötigt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der RRP nur zu 11 Prozent finanziert.
Der Norwegian Refugee Council warnte, dass die jüngsten Militäraktionen und Massaker vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen tiefgreifenden Krise und Missachtung zu einer akuten Notlage geführt haben.
"Die internationale Gemeinschaft muss eine Reaktion unterstützen, die dem Ernst der Lage in der Provinz Ituri und im gesamten Osten der DR Kongo angemessen ist", so Egeland.
"Es ist nicht hinnehmbar, dass Hilfsorganisationen gezwungen sind, unmögliche Entscheidungen darüber zu treffen, wem geholfen werden kann und wem nicht. Und es ist nicht hinnehmbar, dass so viele wohlhabende Nationen, Unternehmen und Einzelpersonen sich weigern, einen fairen Beitrag für die leidenden Millionen aufzubringen."
Die Demokratische Republik Kongo ist mit einer der schlimmsten humanitären Notlagen der Welt konfrontiert, und die Situation im Land ist eine der am meisten vernachlässigten Vertreibungskrisen weltweit. Seit Jahrzehnten leidet das Land unter mehreren, sich überschneidenden Notsituationen, die vor allem durch Konflikte und Zwangsvertreibungen verursacht werden. Die Vereinten Nationen schätzen, dass in diesem Jahr 26,4 Millionen Menschen im Lande humanitäre Hilfe benötigen.
Aufgrund der anhaltenden Gewalt leidet die Demokratische Republik Kongo bereits unter der größten internen Vertreibungskrise in Afrika. 7,5 Millionen Menschen waren gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Darunter befinden sich mehr als 6,2 Binnenvertriebene und 1,3 Millionen Flüchtlinge, die in den Nachbarländern Schutz gesucht haben. Darüber hinaus beherbergt die DRK rund 500.000 Flüchtlinge.
Im Jahr 2023 hat die humanitäre Lage in den östlichen Provinzen der DR Kongo ein verheerendes Ausmaß erreicht, da die zyklische Gewalt durch bewaffnete Gruppen und die anschließende Vertreibung weiterhin Millionen von gefährdeten Zivilisten trifft.
Seit März 2022, als die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppen - hauptsächlich Rebellen der M23 - und den Regierungstruppen wieder aufflammten, hat der unerbittliche Kreislauf der Gewalt rund 3,3 Millionen Menschen in die Vertreibung getrieben. Mehr als 1,5 Millionen Menschen mussten seit Januar 2023 ihre Häuser im Osten der DRK verlassen.
Das Welternährungsprogramm ist die größte humanitäre Organisation der Welt. Die UN-Organisation, die 2020 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, rettet in Notsituationen Leben und unterstützt Menschen mit Nahrungsmittelhilfe bei der Bewältigung von Konflikten, Katastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels. Das WFP ist in über 120 Ländern und Gebieten tätig. Für Millionen von Menschen weltweit kann die Hilfe des Welternährungsprogramms den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.
Der Norwegian Refugee Council ist eine unabhängige humanitäre Organisation, die Menschen hilft, die zur Flucht gezwungen sind. Sein Hauptsitz befindet sich in Oslo, Norwegen. Die Nichtregierungsorganisation schützt und hilft vertriebenen Menschen. Der Norwegian Refugee Council wurde 1946 gegründet und ist heute eine der größten Nichtregierungsorganisationen weltweit, die Flüchtlinge und Binnenvertriebene unterstützt. Der Schwerpunkt des NRC liegt auf der Bereitstellung dringender humanitärer Hilfe in der Nothilfephase eines Konflikts oder einer Naturkatastrophe. Derzeit ist der Norwegian Refugee Council in 40 Ländern in neuen und langwierigen Krisen tätig.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Briefing Notiz des Welternährungsprogramms (WFP) im Genfer Palais: Millionen Menschen in der Demokratischen Republik Kongo sind von Hunger bedroht, da die Mittel versiegen, WFP-Pressemitteilung, veröffentlicht am 22. August 2023 (in Englisch)
https://www.wfp.org/news/wfp-geneva-palais-briefing-note-millions-drc-risk-going-hungry-funding-dries
Vollständiger Text: DR Kongo: Eine beispiellose Krise wird ignoriert, NRC-Pressemitteilung, veröffentlicht am 23. August 2023 (in Englisch)
https://www.nrc.no/news/2023/august/drc-an-unprecedented-crisis-goes-ignored/
Vollständiger Text: EU aktiviert neue humanitäre Luftbrücke nach Goma, Demokratische Republik Kongo, Pressemitteilung der Europäischen Kommission, veröffentlicht am 23. August 2023 (in Englisch)
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_23_4182