Sechs Tage nach dem verheerenden Erdbeben im Osten Afghanistans wird das wahre Ausmaß der Zerstörung immer deutlicher, insbesondere in den Provinzen Kunar und Nangarhar. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden mehr als 2.200 Todesopfer bestätigt, mindestens 3.640 Menschen sind verletzt und über 6.750 Häuser wurden zerstört, wobei nach Angaben der Katastrophenhilfe der Europäischen Union mindestens 500.000 Menschen betroffen sind.
Angesichts der sich verändernden Lage dürften diese Zahlen jedoch weiter steigen, wie bereits von den Taliban verbreitete inoffizielle Zahlen vermuten lassen.
Das Erdbeben vom 31. August ist eines der tödlichsten in Afghanistan in den zurückliegenden Jahren, einem Land, das für seine Anfälligkeit für Erdbeben bekannt ist. Schwere Nachbeben dauern an, darunter zwei Beben der Stärke 5,2 am Freitag und ein Beben der Stärke 5,6 am Donnerstag. Diese Nachbeben verursachen weitere Todesfälle und Zerstörungen und erschweren die Hilfsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten.
Die Nachbeben haben bereits betroffene Bezirke in der Provinz Kunar erschüttert und weitere Opfer gefordert, darunter auch unter dem Hilfs- und Gesundheitspersonal, das zur Unterstützung der humanitären Hilfe eingesetzt wurde, während Unterkünfte und Straßen ebenfalls beschädigt wurden.
Die Vereinten Nationen und ihre humanitären Partner reagieren auf die Naturkatastrophe, aber Blockaden der Straßen infolge der jüngsten Beben haben den Einsatz von Teams und die Lieferung von Hilfsgütern per Lkw-Konvoi in die betroffenen Gebiete verzögert.
Am Freitag gab Tom Fletcher, der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, eine Erklärung ab, in der er seine Besorgnis über die Krise und ihre Auswirkungen auf die laufenden humanitären Bemühungen im Land zum Ausdruck brachte.
„Das Erdbeben in Afghanistan hat massive Zerstörungen verursacht. Hunderttausende Menschen in abgelegenen Gebieten, die bereits durch jahrzehntelange Konflikte und Vertreibungen gezeichnet sind, haben ihre Häuser und Lebensgrundlagen verloren“, sagte er.
„Zu den betroffenen Gemeinden gehören auch solche, in denen Menschen, die aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, gerade erst begonnen hatten, ihr Leben wieder aufzubauen. Explosive Kampfmittel verstärken die Gefahr noch.“
Fletcher erklärte weiter, dass Mittelkürzungen bereits dazu geführt hätten, dass wichtige Gesundheits- und Ernährungsdienste für Millionen von Menschen eingestellt, Flugzeuge, die als wichtige Lebensader für abgelegene Gemeinden dienen, stillgelegt und die Präsenz von Hilfsorganisationen reduziert worden seien.
„Dies ist die jüngste Krise, welche die Kosten der schwindenden Ressourcen für lebenswichtige humanitäre Arbeit offenbart“, sagte er.
Trotz dieser Herausforderungen handeln UN-Organisationen und andere humanitäre Organisationen. Es wurden Notfallmittel bereitgestellt, um Unterkünfte, Lebensmittel, Wasser, Kinderschutz, Gesundheitsversorgung und logistische Unterstützung zu gewährleisten.
Die gemeinsame Zuweisung von 10 Millionen US-Dollar aus dem Zentralen Nothilfefonds (CERF) und dem Humanitären Fonds für Afghanistan (AHF) wird zwar die Bereitstellung lebensrettender Hilfe erleichtern, doch werden dringend zusätzliche Mittel benötigt, um den wachsenden Bedarf zu decken.
Auch die De-facto-Behörden haben reagiert, und verschiedene Länder haben großzügig Hilfsgüter und wichtige Startfinanzierungen bereitgestellt.
Fletcher betonte jedoch, dass dies nicht ausreiche.
„Wenn es jetzt nicht gelingt, Ressourcen zu mobilisieren, wird das Leid noch größer und es werden noch mehr Menschenleben verloren gehen, da der Winter schnell näher rückt. Die Geber haben sich bereits in der Vergangenheit für die Menschen in Afghanistan eingesetzt – wir brauchen ihre Unterstützung erneut“, sagte er.
Unterdessen hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Hilfsgüter im Wert von 4,5 Millionen US-Dollar nach Kunar und Jalalabad geschickt. Die Hilfsgüter umfassen Familienzelte, Thermodecken, Kanister, Gaskocher, Solarlampen und Planen und werden zunächst 5.600 Haushalte versorgen.
Allerdings sind die Vorräte des UNHCR in Afghanistan derzeit aufgrund der laufenden Hilfe für zurückkehrende afghanische Flüchtlinge knapp. In Erwartung der Ergebnisse einer organisationsübergreifenden Bewertung prüft das UNHCR derzeit die Verfügbarkeit von Hilfsgütern in seinen regionalen Notvorräten, darunter auch in Termez, Usbekistan, um den zusätzlichen Bedarf zu decken.
Das Welternährungsprogramm (WFP) hat derweil in Mara Dara im Bezirk Nurgal eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet, um Hilfsorganisationen zu unterstützen und miteinander zu vernetzen. Außerdem hat die Europäische Union eine neue humanitäre Luftbrücke (HAB) von Europa und Dubai nach Kabul, der Hauptstadt, eingerichtet, um Hilfsgüter zu transportieren.
Afghanistan hat in den vergangenen Jahren unter anhaltenden Konflikten und häufigen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Dürren und Erdbeben gelitten. Im Oktober 2023 kamen bei einer Reihe von starken Erdbeben im Westen Afghanistans mehr als 1.500 Menschen ums Leben.
Das aktuelle Unglück ereignet sich zu einer Zeit, in der die Afghanen bereits mit einer weitreichenden Dürre und massiven Kürzungen der humanitären Hilfe zu kämpfen haben, die zur Schließung wichtiger Einrichtungen wie Gesundheitszentren und Ernährungszentren geführt haben.
Derzeit leidet ein Fünftel der Afghanen weiterhin unter Hunger. Laut der jüngsten Analyse der Ernährungssicherheit der Integrierten Phasenklassifizierung (IPC) werden zwischen Mai und Oktober 2025 etwa 9,52 Millionen Menschen als Menschen in einer Krisensituation oder schlimmer (Phase 3 oder höher) eingestuft.
Rund 3,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden unter akuter Unterernährung oder werden voraussichtlich darunter leiden und benötigen dringend Hilfe. Dies schließt etwa 867.000 Fälle von schwerer akuter Unterernährung (SAM) und 2.593.000 Fälle von moderater akuter Unterernährung (MAM) ein.
Darüber hinaus leiden vermutlich 1,2 Millionen schwangere und stillende Frauen unter akuter Unterernährung.
Aufgrund gekürzter Finanzmittel musste das Welternährungsprogramm seine Hilfe drastisch reduzieren, sodass Millionen hungernder Menschen mit Beginn des Winters ohne Unterstützung dastehen.
Das südasiatische Land befindet sich derzeit in einer schweren, durch Dürre verursachten Krise, die die landwirtschaftlichen und pastoralen Lebensgrundlagen in der Hälfte seiner Provinzen beeinträchtigt. Die Regionen im Norden, Nordwesten und Nordosten sind am stärksten betroffen, und die sich verschlechternden Bedingungen greifen weiter um sich.
Afghanistan ist eines der zehn Länder weltweit, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Dürren, Überschwemmungen, steigende Temperaturen und extreme Hitze beeinträchtigen die Menschen in ländlichen Gebieten, indem sie ihre Lebensgrundlage verringern, und bedrohen auch die Menschen in städtischen Gebieten.
Darüber hinaus hat der massive Zustrom von afghanischen Rückkehrern, die gezwungen waren, den Iran und Pakistan zu verlassen, die grundlegenden Versorgungsleistungen des Landes überfordert – seit Jahresbeginn mussten über 2,5 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückkehren.
Da Millionen Afghanen aus den Nachbarländern zurückkehren müssen und die globale humanitäre Finanzierungskrise das Land schwer belastet, droht eine noch gravierendere humanitäre Krise in Afghanistan.
Schon vor dem Zustrom der Rückkehrer benötigte fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung – 22,9 Millionen Menschen, darunter 12,3 Millionen Kinder – humanitäre Unterstützung. Millionen Afghanen kämpfen weiterhin ums Überleben inmitten einer der größten und am meisten vernachlässigten humanitären Krisen der Welt.
Spendenmöglichkeiten
- UN-Krisenhilfe: Erdbeben in Afghanistan
https://crisisrelief.un.org/en/afghanistan - UN-Krisenhilfe: Krise in Afghanistan
https://crisisrelief.un.org/afghanistan-crisis - UNHCR: Erdbeben in Afghanistan
https://donate.unhcr.org/asia/en-as/afghanistan-situation - UNHCR: Notlage in Afghanistan
https://donate.unhcr.org/int/en/give-afghanistan-forcedreturns - UNO-Flüchtlingshilfe: Afghanistan
https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/afghanistan - Internationales Komitee vom Roten Kreuz: Erdbeben in Afghanistan
https://www.icrc.org/en/donate/urgent-earthquake-afghanistan - Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC): Afghanistan: Erdbeben 2025
https://donate.redcrossredcrescent.org/ifrc/afghanistan-earthquake/~my-donation?_cv=1 - Welternährungsprogramm: Nothilfe in Afghanistan
https://de.wfp.org/emergencies/afghanistan-emergency - Aktion Deutschland Hilft: Erdbeben Afghanistan
https://www.aktion-deutschland-hilft.de/de/spenden/spenden/?fb_item_id=85819 - Bündnis Entwicklung Hilft: Erdbeben Afghanistan
https://entwicklung-hilft.de/erdbeben-afghanistan/ - UNICEF: Erdbeben Afghanistan
https://www.unicef.de/spenden/jetzt-spenden?purpose=381696 - UNICEF Deutschland: Krise in Afghanistan
https://www.unicef.de/informieren/projekte/asien-4300/afghanistan-19424/krise-in-afghanistan/246828 - Aktionsbündnis Katastrophenhilfe: Nothilfe Afghanistan
https://www.aktionsbuendnis-katastrophenhilfe.de/jetzt-spenden?amount=110&fb_item_id=42841 - Save the Children Deutschland: Nothilfe für Afghanistan
https://www.savethechildren.de/unterstuetzen/nothilfe/spenden-afghanistan/ - Diakonie Katastrophenhilfe: Nothilfe Afghanistan-Krise
https://www.diakonie-katastrophenhilfe.de/spende/afghanistan-krise