Hochrangige Vertreter der Vereinten Nationen haben sich heute schockiert über die zunehmenden Berichte über geschlechtsspezifische Gewalt (GBV) im Sudan geäußert - einschließlich konfliktbedingter sexueller Gewalt gegen Binnenvertriebene und Flüchtlingsfrauen und -mädchen -, seitdem die Kämpfe im Land Mitte April ausgebrochen sind. Inzwischen gehen die Kämpfe im Sudan in die 12. Woche und ein Ende ist nach mehreren gescheiterten Waffenstillstandsversuchen nicht in Sicht.
In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Leiter des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), des UN-Menschenrechtsbüros (OHCHR), des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF), des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA), von UN Women und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Mittwoch ein sofortiges Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt, einschließlich der sexuellen Gewalt als Kriegstaktik zur Unterdrückung der Bevölkerung.
"Es ist unverzeihlich, dass die Frauen und Kinder im Sudan, deren Leben durch diesen sinnlosen Konflikt zerstört wurde, auf diese Weise weiter traumatisiert werden. Was wir im Sudan erleben, ist nicht nur eine humanitäre Krise, sondern eine Krise der Menschlichkeit", sagte Martin Griffiths, Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator.
Die hochrangigen UN-Vertreter forderten außerdem eine rasche, gründliche, unparteiische und unabhängige Untersuchung aller mutmaßlichen groben Menschenrechtsverletzungen und schweren Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
"Wir erhalten schockierende Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen, einschließlich Vergewaltigungen. Nach solchen Grausamkeiten und Brutalitäten erhalten die Frauen und Mädchen kaum oder gar keine medizinische und psychosoziale Unterstützung. Für sexuelle Gewalt darf es keine Toleranz geben. Alle Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte.
Bereits vor dem Ausbruch der Kämpfe am 15. April waren nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als 3 Millionen Frauen und Mädchen im Sudan von geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Gewalt in der Partnerschaft, bedroht. Inzwischen ist diese Zahl auf geschätzte 4,2 Millionen Menschen angestiegen.
Seit Beginn des Konflikts hat das UN-Menschenrechtsbüro im Sudan glaubwürdige Berichte über 21 Vorfälle von konfliktbedingter sexueller Gewalt gegen mindestens 57 Frauen und Mädchen erhalten. Unter den Opfern sind mindestens 10 Mädchen. In einem Fall wurden Berichten zufolge bis zu 20 Frauen bei ein und demselben Angriff vergewaltigt.
Auch beim sudanesischen Ministerium für soziale Entwicklung gehen weiterhin Berichte über konfliktbedingte sexuelle Gewalt ein. Es hat mindestens 42 mutmaßliche Fälle in der Hauptstadt Khartoum und 46 in der Region Darfur dokumentiert.
Angesichts der hohen Dunkelziffer bei geschlechtsspezifischer Gewalt ist zu befürchten, dass die tatsächliche Zahl der Fälle weitaus höher liegt. Für viele Überlebende ist es aufgrund von Scham, Stigmatisierung und Angst vor Repressalien schwierig, sexuelle Gewalt anzuzeigen.
Die Meldung von Übergriffen und die Inanspruchnahme von Unterstützung wird auch durch den Mangel an Elektrizität und Internetanschlüssen sowie durch den fehlenden Zugang für humanitäre Hilfe aufgrund der instabilen Sicherheitslage erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.
Geschlechtsspezifische Gewalt (GBV) - auch sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (SGBV) - ist eine Form der Gewalt, die sich gegen Personen aufgrund ihres Geschlechts oder ihres vermeintlichen Geschlechts richtet. GBV kann ein breites Spektrum von Handlungen umfassen, wie körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt.
Geschlechtsspezifische Gewalt wird häufig gegen Mädchen und Frauen ausgeübt, kann aber auch Jungen und Männer sowie Personen betreffen, die sich als nicht-binär oder nicht-konform identifizieren. Besonders akut ist geschlechtsspezifische Gewalt während humanitärer Krisen wie Konflikten und Vertreibungen, wo die Menschen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, Gewalt und Ausbeutung zu erfahren.
Die führenden Vertreter der Vereinten Nationen betonten auch die Notwendigkeit, die Präventions- und Reaktionsdienste für GBV im Sudan und in den Nachbarländern, in denen Menschen auf der Flucht vor Gewalt als Flüchtlinge Schutz suchen, rasch auszubauen, um den steigenden Bedarf zu decken.
"Unsere Teams in der Region berichten von den schrecklichen Qualen, denen gewaltsam vertriebene Frauen und Mädchen auf der Flucht aus dem Sudan ausgesetzt sind. Diese schockierende Bandbreite von Menschenrechtsverletzungen muss aufhören. Die Hilfe zur Unterstützung der Überlebenden und Gefährdeten ist dringend notwendig, aber bisher reichen die Mittel nicht aus", unterstrich Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge.
Die UN-Vertreter forderten ebenfalls, dass alle Parteien ihre Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten einhalten müssen, um die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Mädchen, zu schützen, und dass sie den Überlebenden sicheren Zugang zur medizinischen Versorgung und dem Gesundheitspersonal den Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen ermöglichen müssen.
Angriffe auf und die Besetzung von Gesundheitseinrichtungen hindern die Überlebenden ferner daran, medizinische Notversorgung zu suchen und in Anspruch zu nehmen. Die WHO hat seit Beginn des Konflikts 50 Angriffe auf die Gesundheitsversorgung verifiziert, darunter 32 Vorfälle, die Gesundheitseinrichtungen betrafen, sowie 10 Todesfälle und 21 Verletzte unter Gesundheitsfachkräften und Patienten.
"Die anhaltende Gewalt, einschließlich der Angriffe auf die medizinische Versorgung, hindert Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt am Zugang zu wichtigen Gesundheitsdiensten zu einem Zeitpunkt, an dem sie diese am meisten benötigen. Frauen und Mädchen müssen vor sexueller Gewalt geschützt werden, und die Überlebenden müssen ungehinderten Zugang zu der Versorgung haben, die sie brauchen. Das Gesundheitspersonal und die Gesundheitseinrichtungen müssen geschützt werden", sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO.
Gesundheitsdienstleister, Sozialarbeiter, Berater und gemeindebasierte Schutznetzwerke im Sudan haben jedoch alle darauf hingewiesen, dass die Berichte über geschlechtsspezifische Gewalt angesichts der anhaltenden Feindseligkeiten im Land deutlich zunehmen.
Frauen, darunter auch Flüchtlinge, die bereits vor dem Konflikt im Sudan lebten, berichteten über Vorfälle geschlechtsspezifischer Gewalt auf der Flucht von Khartum in andere Gebiete. Frauen, die über die sudanesischen Grenzen geflohen sind, haben dem UNHCR und UN-Menschenrechtsteams in den Nachbarländern von der schrecklichen Gewalt berichtet, der sie ausgesetzt waren.
Das Risiko sexueller Gewalt ist besonders hoch, wenn Frauen und Mädchen auf der Suche nach sichereren Orten unterwegs sind. Die UN-Vertreter erklärten, es sei dringend notwendig, die Hilfe für Binnenvertriebene in den vom Konflikt betroffenen Gebieten des Sudan und in den Nachbarländern zu verstärken.
Die Kämpfe zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) halten seit über zwei Monaten im Sudan an, und es wird von anhaltender Gewalt in Khartum, Kordofan, Darfur und Blue Nile berichtet.
Seit dem 15. April waren mehr als 2,8 Millionen Menschen gezwungen zu fliehen, darunter 2,2 Millionen Binnenvertriebene und mehr als 600.000 Flüchtlinge, Asylsuchende und Rückkehrer, die über die Grenzen in die Nachbarländer geflohen sind. Zu den wichtigsten Aufnahmeländern gehören die Zentralafrikanische Republik, der Tschad, Ägypten, Äthiopien und der Südsudan.
Bis zum 30. Juni wurden vom sudanesischen Gesundheitsministerium landesweit 1.133 Todesfälle und 11.796 Verletzte gemeldet.
Der Bedarf an humanitärer Hilfe im Sudan war bereits vor der Zuspitzung der Lage so groß wie nie zuvor. Die Zahl der Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, beläuft sich derzeit auf 24,7 Millionen - mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung. Unter ihnen befinden sich 13 Millionen Kinder, die dringend lebensrettende humanitäre Unterstützung benötigen.
Der bewaffnete Konflikt im Sudan verschärft die ohnehin schon schwierige Hungersituation weiter. Durch den Konflikt hat sich die Zahl der am stärksten von Hunger bedrohten Menschen drastisch erhöht - von 11,7 Millionen auf 19,1 Millionen Menschen.
Laut UNHCR sind viele Menschen in den Bundesstaaten Khartum, Darfur und Kordofan aufgrund des Konflikts gestrandet und von grundlegender humanitärer Hilfe abgeschnitten. Es gibt besorgniserregende Berichte über vertriebene Zivilisten, darunter auch Flüchtlinge, die bei dem Versuch, sich innerhalb des Landes und über die Grenzen hinweg in Sicherheit zu bringen, lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt sind.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks haben die Menschen aufgrund der Intensität des Konflikts kaum eine andere Wahl, als unter extrem gefährlichen und schwierigen Bedingungen zu fliehen, wobei sie körperliche Misshandlungen, Diebstahl und Raubüberfälle riskieren, und in einigen Fällen wird ihnen die Weiterreise aus den Konfliktgebieten verweigert, so dass sie gezwungen sind, sich erneut in Gefahr zu begeben.
Unsicherheit und bürokratische Zugangshindernisse sowie Angriffe auf humanitäre Einrichtungen und Lagerhäuser behindern weiterhin die Fähigkeit humanitärer Organisationen, Hilfe gefahrlos bereitzustellen. Die humanitären Organisationen in Land haben enorme Schwierigkeiten, die Menschen in den Konfliktgebieten in Khartum, Darfur und Kordofan zu erreichen, wo die Lage äußerst besorgniserregend ist.
Nach Angaben des OCHA wurden seit Beginn des Konflikts mindestens 15 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet, viele weitere wurden verletzt und einige werden noch vermisst.
Trotz dieses schwierigen Umfelds haben die humanitären Organisationen laut OCHA vom 15. April bis zum 15. Juni landesweit über 2,8 Millionen Menschen Hilfe und Schutz gewährt. Darunter befinden sich sowohl Menschen, die von dem jüngsten Konflikt betroffen sind, als auch solche, die bereits zuvor in Not waren. Dazu gehören auch 1,3 Millionen Menschen, die sauberes Trinkwasser erhalten haben.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Sudan: Hochrangige UN-Vertreter schlagen Alarm wegen des Anstiegs der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, gemeinsame Pressemitteilung, OCHA, OHCHR, UNHCR, UNICEF, UNFPA, UN Women und WHO, veröffentlicht am 5. Juli 2023 (in Englisch)
https://reliefweb.int/report/sudan/sudan-top-un-officials-sound-alarm-spike-violence-against-women-and-girls-enar
Vollständiger Text: Sudan: Humanitäres Update, 4. Juli 2023, Bericht, Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, veröffentlicht am 4. Juli 2023 (in Englisch)
https://reliefweb.int/report/sudan/sudan-humanitarian-update-4-july-2023-enar