In einem neuen Bericht, der am Dienstag veröffentlicht wurde, stellt die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete, einschließlich Ostjerusalem, und Israel fest, dass Israel Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen begangen hat. Die Kommission forderte Israel und alle Staaten nachdrücklich auf, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, um den Völkermord zu beenden und die Verantwortlichen zu bestrafen.
Völkermord gilt neben Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Verbrechen der Aggression als eines der ungeheuerlichsten internationalen Verbrechen.
In den letzten zwei Jahren hat die Kommission die Ereignisse seit dem 7. Oktober 2023 untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass die israelischen Behörden und Sicherheitskräfte vier der fünf Taten begangen haben, die in der Konvention von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes als Völkermord definiert werden.
Zu diesen Völkermordhandlungen gehören Tötungen, die Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden, die vorsätzliche Schaffung von Lebensbedingungen, die auf die Zerstörung einer Gruppe abzielen, und die Verhängung von Maßnahmen, die darauf abzielen, Geburten zu verhindern.
Dem Bericht zufolge lassen eindeutige Äußerungen israelischer Zivil- und Militärbehörden sowie das Verhaltensmuster der israelischen Sicherheitskräfte darauf schließen, dass diese Handlungen mit der Absicht begangen wurden, die Palästinenser im Gazastreifen als Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten.
„Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass Israel für die Begehung von Völkermord in Gaza verantwortlich ist“, sagte Navi Pillay, Vorsitzende der Kommission.
„Es ist offensichtlich, dass die Absicht besteht, die Palästinenser in Gaza durch Handlungen zu vernichten, welche die Kriterien der Völkermordkonvention erfüllen.“
Sie fügte hinzu, dass die höchsten israelischen Stellen für diese Gräueltaten verantwortlich seien, da sie fast zwei Jahre lang eine Völkermordkampagne mit der Absicht orchestriert hätten, die Gruppe der Palästinenser in Gaza zu vernichten.
„Die Kommission stellt außerdem fest, dass Israel es versäumt hat, den Völkermord zu verhindern und zu bestrafen, indem es keine Ermittlungen zu den Völkermordhandlungen durchgeführt und die mutmaßlichen Täter nicht strafrechtlich verfolgt hat“, sagte Pillay.
Der Bericht basiert auf früheren Untersuchungen der Kommission sowie auf faktischen und rechtlichen Erkenntnissen zu den Angriffen israelischer Streitkräfte in Gaza und dem Vorgehen und den Äußerungen israelischer Amtsträger zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 31. Juli 2025.
Um diese Völkermordhandlungen nachzuweisen, untersuchte die Kommission die israelischen Militäroperationen in Gaza, darunter die Tötung und schwere Verletzung einer beispiellosen Zahl von Palästinensern, die Verhängung einer totalen Belagerung (einschließlich der Blockade humanitärer Hilfe, die zu einer Hungersnot führte) und die systematische Zerstörung des Gesundheits- und Bildungssystems in Gaza.
Die Kommission untersuchte auch die systematische Ausübung sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, die direkte gezielte Gewalt gegen Kinder, die Durchführung systematischer und weit verbreiteter Angriffe auf religiöse und kulturelle Stätten sowie die Missachtung der Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs an Israel, einen Völkermord zu verhindern.
Um die Völkermordabsicht nachzuweisen, wandte die Kommission den vom Internationalen Gerichtshof im Fall Bosnien gegen Serbien festgelegten Standard an. Die Kommission analysierte die Erklärungen der israelischen Stellen und kam zu dem Schluss, dass diese Erklärungen einen direkten Beweis für die Absicht des Völkermords darstellen.
Darüber hinaus analysierte die Kommission das Verhaltensmuster der israelischen Behörden und Sicherheitskräfte in Gaza, einschließlich der Erzwingung von Aushungerung und der Auferlegung unmenschlicher Lebensbedingungen für die palästinensische Bevölkerung, und kam zu dem Schluss, dass die Absicht des Völkermords die einzige angemessene Schlussfolgerung aus der Art ihrer Handlungen war.
„Israel hat die Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs zu vorläufigen Maßnahmen und die Warnungen von Mitgliedstaaten, UN-Büros, Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen eklatant missachtet und seine Strategie der Vernichtung der Palästinenser in Gaza fortgesetzt“, sagte Pillay.
Dieser Bericht folgt den Erkenntnissen führender internationaler und israelischer Menschenrechtsorganisationen, Menschenrechtsexperten und Genozidforscher, dass Israels Handlungen in Gaza einem Völkermord an der Bevölkerung von Gaza gleichkommen.
Vor der Veröffentlichung des Berichts am Dienstag waren sie zu der Einschätzung gelangt, dass die israelische Regierung bewusst Lebensbedingungen geschaffen hat, die darauf abzielen, eine Gruppe oder einen Teil einer Gruppe zu vernichten, wie es in der Völkermordkonvention definiert ist.
Die Kommission kommt nunmehr zu dem Schluss, dass die israelischen Behörden nicht die Absicht hatten, ihre Vorgehensweise zu ändern.
„Im Gegenteil, die israelischen Regierungsstellen haben ihre Völkermordkampagne in Gaza nun schon zwei Jahre lang fortgesetzt und weitergeführt. Israel muss den Völkermord in Gaza unverzüglich beenden und die Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs für vorläufige Maßnahmen vollständig befolgen“, fügte Pillay hinzu.
Der Bericht macht den Staat Israel dafür verantwortlich, dass er den Völkermord an den Palästinensern in Gaza nicht verhindert oder bestraft hat. Konkret werden israelische Spitzenpolitiker, darunter Präsident Herzog, Premierminister Netanjahu und der ehemalige Verteidigungsminister Gallant, wegen Anstiftung zum Völkermord namentlich genannt.
Bislang haben die israelischen Strafverfolgungsbehörden keine Maßnahmen gegen sie ergriffen, obwohl das Land lange Zeit als Rechtstaat galt.
Die Kommission fordert Israel auf, seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen unverzüglich nachzukommen, die Belagerung des Gazastreifens aufzuheben, humanitäre Hilfe zuzulassen und die Beschränkungen für UN-Mitarbeiter und -Organisationen aufzuheben.
Sie fordert außerdem die UN-Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, den Transfer von Waffen nach Israel einzustellen, eine Mitwirkung am Völkermord zu verhindern und durch Ermittlungen und rechtliche Schritte Rechenschaft einzufordern, insbesondere von Personen oder Unternehmen, die direkt oder indirekt am Völkermord beteiligt sind.
Die Kommission verlangt, dass Israel seine Politik der Aushungerung beendet und die Aktivitäten der Gaza „Humanitarian“ Foundation unverzüglich einstellt.
„Die internationale Gemeinschaft kann nicht schweigen, wenn Israel einen Völkermord gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza verübt. Wenn es eindeutige Anzeichen und Beweise für Völkermord gibt, kommt das Ausbleiben von Maßnahmen zu dessen Beendigung einer Mittäterschaft gleich“, sagte Pillay.
„Jeder Tag der Untätigkeit kostet Menschenleben und untergräbt die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft. Alle Staaten sind rechtlich verpflichtet, alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um den Völkermord in Gaza zu stoppen.“
Humanitäre Katastrophe verschärft sich weiter
Der Bericht erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem Israels jüngster Militäreinsatz die Lage im Gazastreifen weiter eskalieren lässt, wo eine von Menschen verursachte Hungersnot bestätigt wurde. Mehr als zwei Millionen Zivilisten sind von einer humanitären Katastrophe betroffen, die sich kontinuierlich verschlimmert.
Seit fast zwei Jahren sind die Palästinenser im Gazastreifen einer unerbittlichen Eskalation von Gräueltaten durch israelische Amtsträger ausgesetzt, ohne dass ihnen nennenswerte Erleichterung, Gerechtigkeit oder Schutz zuteilwird. Die kumulativen Auswirkungen von Hunger und physischer Entbehrung führen dazu, dass jeden Tag Menschen sterben.
Zehntausende Palästinenser wurden getötet, fast 90 Prozent des Gazastreifens wurden zu israelischen Militärzonen oder Gebieten für Zwangsvertreibungen erklärt, und es gibt überzeugende Belege sowie Beweise dafür, dass die israelische Regierung massenhaft Gräueltaten begeht, darunter Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, verurteilte kürzlich die Begehung von „Kriegsverbrechen über Kriegsverbrechen” durch Israel und äußerte sich entsetzt über die offene Verwendung von Völkermord-Rhetorik durch hochrangige israelische Vertreter.
In einer Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat verurteilte Türk die massenhafte Tötung und das Verhungernlassen palästinensischer Zivilisten sowie die Behinderung lebensrettender Hilfsmaßnahmen. Er beklagte die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft und fragte: „Wo bleiben die entschlossenen Schritte zur Verhinderung des Völkermords?”
Nach Angaben von Gesundheitsbehörden in Gaza haben israelische Streitkräfte seit Oktober 2023 bei Angriffen auf den Gazastreifen über 65.000 Palästinenser getötet – in der Mehrzahl Kinder, Frauen und ältere Menschen – und mehr als 165.000 weitere verletzt. Unter den erfassten Todesopfern sind mehr als 20.000 Kinder.
Die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte jedoch weitaus höher liegen. Es wird angenommen, dass Tausende weitere Menschen unter den Trümmern begraben sind. Darüber hinaus wird geschätzt, dass Tausende an indirekten Ursachen gestorben sind, darunter Hunger, mangelnde medizinische Versorgung, Dehydrierung und Obdachlosigkeit.
Unterdessen werden die Hilfsorganisationen durch die Verweigerung, Verzögerung oder Behinderung humanitärer Konvois durch die israelischen Behörden behindert. Israel beeinträchtigt weiterhin bewusst humanitäre Maßnahmen und hemmt den Transport von Hilfsgütern nach und innerhalb des Gazastreifens.
Am Mittwoch forderten die Leiter von über 20 führenden internationalen Hilfsorganisationen, die im Gazastreifen tätig sind, die Staats- und Regierungschefs der Welt auf, unverzüglich zu intervenieren, nachdem die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss gekommen ist, dass ein Völkermord begangen wird.
Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen die Leiter des Danish Refugee Council, von Handicap International – Humanity & Inclusion, des International Council of Voluntary Agencies, von Islamic Relief, Médecins du Monde, Médecins Sans Frontières, des Norwegian Refugee Council, von Oxfam und Save the Children.
„Was wir in Gaza erleben, ist nicht nur eine beispiellose humanitäre Katastrophe, sondern, wie die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen nun festgestellt hat, ein Völkermord. Mit dieser Feststellung schließt sich die Kommission einer wachsenden Zahl von Menschenrechtsorganisationen und Führungspersönlichkeiten weltweit und innerhalb Israels an“, heißt es in der Erklärung.
„Die Unmenschlichkeit der Situation in Gaza ist unfassbar. Als humanitäre Führungskräfte haben wir die schrecklichen Todesfälle und das Leiden der Menschen in Gaza mit eigenen Augen gesehen. Unsere Warnungen wurden ignoriert, und Tausende weitere Menschenleben stehen weiterhin auf dem Spiel.“
Den Verantwortlichen der großen Hilfsorganisationen zufolge wurde ihnen der Zugang verwehrt, und die Militarisierung des Hilfssystems hat sich als todbringend erwiesen. Sie weisen darauf hin, dass Tausende von Menschen erschossen wurden, als sie versuchten, die wenigen Orte zu erreichen, an denen unter bewaffneter Bewachung Lebensmittel verteilt werden.
Ihrer Ansicht nach müssen die Staaten der Welt alle ihnen zur Verfügung stehenden politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Mittel einsetzen, um einzugreifen.
„Rhetorik und halbherzige Maßnahmen reichen nicht aus. In diesem Augenblick ist entschlossenes Handeln gefragt“, heißt es in ihrer Erklärung.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Rechtliche Analyse des Verhaltens Israels in Gaza gemäß dem Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (A/HRC/60/CRP.3), Bericht an den UN-Menschenrechtsrat, Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für das besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und Israel, veröffentlicht am 16. September 2025 (in Englisch)
https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session60/advance-version/a-hrc-60-crp-3.pdf