Die humanitäre Krise im Jemen gerät zunehmend außer Kontrolle. Eine erschreckend hohe Zahl von Menschen leidet an Hunger, teilweise an extremen Bedingungen, und die Fähigkeit der Vereinten Nationen, Hilfe zu leisten, wird durch den andauernden Konflikt, fehlende Finanzmittel und willkürliche Inhaftierungen erheblich beeinträchtigt. Dies war die eindringliche Warnung, die der Leiter der humanitären Hilfe der Vereinten Nationen, Tom Fletcher, am Montag während einer Unterrichtung des UN-Sicherheitsrats aussprach.
Fletcher, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator, zeichnete ein bedrückendes Bild der Lage im Jemen, der mittlerweile als das Land mit der drittgrößten Ernährungsunsicherheit weltweit gilt und in dem mehr als 40.000 Menschen unter katastrophaler Ernährungsunsicherheit leiden.
Er wies darauf hin, dass bis Februar 2026 voraussichtlich eine weitere Million Menschen in eine Hungerkrise oder Schlimmeres geraten werden, wodurch die Gesamtzahl der Jemeniten, die mit unzureichender Ernährung zu kämpfen haben, von 17 auf 18 Millionen steigen dürfte.
„Siebzig Prozent der Haushalte im Jemen haben nicht genug zu essen, um ihren täglichen Bedarf zu decken – das ist die höchste jemals verzeichnete Quote“, sagte Fletcher.
„Fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes leidet derzeit unter schwerer Nahrungsmittelknappheit – ein Anstieg von 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jede dritte Familie leidet unter mäßigem bis schwerem Hunger.“
Er fügte hinzu, dass in jedem fünften Haushalt „jemand einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ohne jegliche Nahrung auskommen muss“.
"Diese Berichte bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen“, erklärte Fletcher und betonte die Dringlichkeit der Lage.
Humanitäre Hilfe unter Druck
Trotz erheblicher Herausforderungen wie Mittelkürzungen und einem gefährlichen Einsatzumfeld arbeiten humanitäre Organisationen unermüdlich vor Ort.
Fletcher hob erfolgreiche Maßnahmen in Hajjah, Amran und Marib hervor, wo Hilfe in Form von Bargeldunterstützung, Lebensmittelverteilungen, sauberem Wasser und lebenswichtiger medizinischer Versorgung für unterernährte Kinder, schwangere Frauen und junge Mütter geleistet wurde.
Der Nothilfekoordinator betonte jedoch, dass diese Bemühungen bei weitem nicht ausreichen, um den enormen Bedarf zu decken.
„Ein zunehmend schwieriges Arbeitsumfeld hindert uns daran, die Notleidenden zu erreichen oder genügend Leben zu retten, und auch die Kürzungen der Finanzmittel kosten Menschenleben“, sagte er.
„So haben beispielsweise zusätzlich zur Krise der Ernährungsunsicherheit zwei Millionen Frauen und Mädchen den Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten verloren, und das in einer Situation, in der bereits alle zwei Stunden eine Frau während der Schwangerschaft stirbt.“
Eskalierende Feindseligkeiten und willkürliche Inhaftierungen
Im Mittelpunkt der Unterrichtung stand insbesondere das zunehmend schwierige Arbeitsumfeld für humanitäre Helfer. Fletcher äußerte sich zutiefst besorgt über die jüngsten Luftangriffe in Sanaa und Al Jawf, die Berichten zufolge über 300 Opfer forderten und wichtige Infrastruktur beschädigten.
„Das humanitäre Völkerrecht muss eingehalten werden; Zivilisten und zivile Objekte müssen geschützt werden“, betonte er.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die eskalierende Inhaftierungskrise. Seit dem 31. August wurden weitere 22 UN-Mitarbeiter von den de facto-Behörden der Huthi festgenommen, wodurch sich die Gesamtzahl der inhaftierten UN-Mitarbeiter auf 44 erhöht hat. Hinzu kommen Dutzende von Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen, Mitgliedern der Zivilgesellschaft und diplomatischem Personal, die ebenfalls festgehalten werden.
„Die willkürliche Inhaftierung von mittlerweile 44 UN-Mitarbeitern, das gewaltsame Eindringen in UN-Büros und die Beschlagnahmung von Ausrüstung – all das untergräbt unsere Fähigkeit, weiterhin umfassende Hilfe zu leisten“, sagte Fletcher.
Er forderte den Sicherheitsrat nachdrücklich auf, seinen Einfluss geltend zu machen, um die sofortige Freilassung aller Inhaftierten zu erreichen und den Schutz der humanitären Helfer zu gewährleisten.
„Wir sind unseren Mitarbeitern gegenüber verpflichtet, alle angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um die eskalierenden Risiken, denen sie ausgesetzt sind, zu mindern. Und wir stehen nun vor schwierigen Entscheidungen, wie wir das richtige Gleichgewicht zwischen diesem Schutz und der lebenswichtigen Arbeit, die wir in Ihrem Namen leisten, finden können“, fügte er hinzu.
Fletcher zeigte sich empört darüber, dass in einer Zeit, in der humanitäre Helfer versuchen, den Menschen im Jemen zu helfen, während sie „von Mittelkürzungen geplagt“ sind, „unsere operative Kapazität weiter und unnötigerweise gefährdet wird“.
„Die Inhaftierung von humanitären Helfern hilft den Menschen im Jemen nicht. Sie stillt weder den Hunger, heilt die Kranken noch schützt sie die durch Überschwemmungen oder Kämpfe Vertriebenen. UN- und humanitäre Helfer müssen geschützt werden, damit sie ihre Arbeit tun und Leben retten können“, betonte er.
Drei dringende Aufrufe zum Handeln
Zum Abschluss seiner Ausführungen richtete Fletcher drei klare Aufrufe zum Handeln an den Sicherheitsrat. Er forderte die sofortige Freilassung aller inhaftierten Kollegen, die Rückgabe der von Sicherheitskräften besetzten UN-Liegenschaften und eine Aufstockung der Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen, die vor allem auf die Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung ausgerichtet sind.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass der Massenhunger die Zukunft des Jemen bestimmt“, warnte er.
Angesichts der weiterhin prekären Lage im Jemen ist Fletchers Warnung eine eindringliche Mahnung, dass dringend konzertierte Maßnahmen erforderlich sind, um weiteres Leid zu verhindern und eine stabilere Zukunft für die jemenitische Bevölkerung zu sichern.
„Die Menschen im Jemen müssen, wo auch immer sie leben, die humanitäre Hilfe erhalten, die sie benötigen“, sagte der UN-Nothilfekoordinator.
Hans Grundberg, UN-Sonderbeauftragter für den Jemen, berichtete seinerseits, dass er in den letzten Wochen Gespräche mit jemenitischen Gesprächspartnern geführt habe, darunter Vertreter der jemenitischen Regierung und der Ansar Allah, dem offiziellen Namen der Huthi.
Er traf sich auch mit Repräsentanten regionaler Länder sowie Vertretern der internationalen Gemeinschaft. Grundberg betonte die Bedeutung eines landesweiten Waffenstillstands und eines inklusiven politischen Prozesses.
Weltweit eine der am meisten vernachlässigten humanitären Notlagen
Nach über einem Jahrzehnt des Konfliktes ist der Jemen nach wie vor eine der am meisten vernachlässigten humanitären Krisen weltweit. Der seit nunmehr elf Jahren andauernde Bürgerkrieg hat Millionen Menschen vertrieben und die Versorgungssysteme zerstört, während Hilfsorganisationen chronisch unterfinanziert dastehen.
Frauen und Kinder sind weiterhin am stärksten von der Krise betroffen. In einigen Gebieten hat sich die Lage bereits katastrophal entwickelt, Menschen sterben aufgrund von Mangel an Nahrungsmitteln, medizinischer Ernährungshilfe und lebensrettender Gesundheitsversorgung.
Bis heute sind nur 19 Prozent des diesjährigen humanitären Reaktionsplans für den Jemen finanziert, was die Reichweite lebensrettender Programme erheblich einschränkt. Mehr als 19 Millionen Menschen im Land benötigen humanitäre Unterstützung. Neben Frauen und Kindern gehören Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderungen, Migranten und Flüchtlinge zu den am stärksten gefährdeten Gruppen.
In den ersten acht Monaten dieses Jahres mussten Hilfsorganisationen weltweit einen abrupten und beispiellosen Rückgang ihrer Finanzmittel erleben, der auf drastische Kürzungen seitens der Vereinigten Staaten und anderer wichtiger Geber zurückzuführen ist. Der Jemen ist von dieser verheerenden Entwicklung besonders stark betroffen.
Die drastische Kürzung der Finanzmittel hat humanitäre Organisationen dazu gezwungen, dringend benötigte Programme zurückzufahren, sodass Millionen von Menschen ohne lebensrettende Hilfe auskommen müssen. Der fortdauernde Konflikt, der Zusammenbruch der Wirtschaft und das Auftreten von Krankheiten verschärfen die humanitäre Notlage zusätzlich.
Darüber hinaus ist der Jemen einer der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten und einer der am wenigsten auf Klimakatastrophen vorbereiteten. Das Land steht an vorderster Front der globalen Klimakrise, mit wiederkehrenden Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und schweren Dürren, die das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen bedrohen.
Extreme Wetterereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel werden immer unvorhersehbarer und schwerwiegender. Am häufigsten treten Überschwemmungen auf, die typischerweise während der Kharif-Regenzeit von Juli bis September zu verzeichnen sind. Starke Regenfälle während dieser Jahreszeit führen oft zu Sturzfluten, die erhebliche Schäden und Verluste für die Gemeinden sowie große Vertreibungen zur Folge haben.