Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) warnt, dass sich die humanitäre Krise in Myanmar weiter zuspitzt, wobei die Zahl der zivilen Opfer aufgrund des anhaltenden Konflikts steigt und immer mehr Menschen Schutz benötigen. Unterdessen hat der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) angekündigt, dass er einen Haftbefehl gegen den amtierenden Präsidenten Myanmars, General Min Aung Hlaing, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Deportation und Verfolgung der Rohingya im Jahr 2017 beantragt.
Der Schritt des Anklägers am Mittwoch erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Myanmar weiterhin mit einer der größten und am meisten vernachlässigten humanitären Krisen der Welt konfrontiert ist. 18,6 Millionen Menschen – ein Drittel der Bevölkerung – benötigen im Jahr 2024 humanitäre Hilfe. Die humanitäre Lage ist nach wie vor prekär, insbesondere nach der Eskalation der Gewalt vor über einem Jahr, wobei aus rund 80 Prozent des südostasiatischen Landes von bewaffneten Zusammenstößen berichtet wird.
Seit 2019 untersucht der IStGH mutmaßliche Verbrechen, die während der Gewaltwellen 2016 und 2017 im myanmarischen Bundesstaat Rakhine und der anschließenden Zwangsvertreibung der Rohingya von Myanmar nach Bangladesch begangen wurden.
„Nach einer umfassenden, unabhängigen und unparteiischen Untersuchung ist mein Büro zu dem Schluss gekommen, dass es berechtigte Gründe für die Annahme gibt, dass der Oberbefehlshaber der myanmarischen Streitkräfte, General und amtierender Präsident Min Aung Hlaing, die strafrechtliche Verantwortung für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit trägt, die in Myanmar und teilweise in Bangladesch durch die Deportation und Verfolgung der Rohingya begangen wurden“, sagte der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, am Mittwoch.
Er wies darauf hin, dass dies der erste Antrag auf einen Haftbefehl gegen einen hochrangigen Vertreter der Regierung von Myanmar sei, den sein Büro eingereicht habe, und dass weitere folgen würden. Es liegt nun an einem Gremium von Richtern der Vorverfahrenskammer des IStGH, Kans Antrag und die Beweise zu prüfen und zu entscheiden, ob der Haftbefehl ausgestellt werden soll.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Streitkräften Myanmars, auch bekannt als Tatmadaw, vor, zwischen dem 25. August 2017 und dem 31. Dezember 2017 Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, „unterstützt von der nationalen Polizei, der Grenzschutzpolizei sowie von Nicht-Rohingya-Zivilisten“.
Im Jahr 2017 flohen mehr als 740.000 Rohingya in das benachbarte Bangladesch, nachdem die Sicherheitskräfte Myanmars am 25. August eine Kampagne von Massengräueltaten im Bundesstaat Rakhine begonnen hatten. Die Vereinten Nationen haben die Kampagne als ethnische Säuberung bezeichnet; die Vereinigten Staaten haben erklärt, dass die Regierung Myanmars einen Völkermord an den Rohingya begangen hat.
Diejenigen, die zur Flucht gezwungen wurden, schlossen sich Hunderttausenden anderer Rohingya an, die zuvor im Land Zuflucht gesucht hatten. In Bangladesch leben nach wie vor etwa eine Million Rohingya-Flüchtlinge in Lagern in einer Küstenregion des Golfs von Bengalen, die extrem anfällig für Wirbelstürme, Überschwemmungen, Erdrutsche, Brände und die Auswirkungen des Klimawandels ist. Die meisten Rohingya-Flüchtlinge leben derzeit in den Flüchtlingslagern Kutupalong und Nayapara in der Region Cox's Bazar.
„Bei meinen Besuchen im Flüchtlingslager Kutupalong in Cox's Bazar in den letzten drei Jahren, auch erst gestern, habe ich Rohingya-Frauen getroffen, die klar und deutlich über die Notwendigkeit der Rechenschaftspflicht sprachen. [..] Und ich habe mit Männern jeden Alters gesprochen, auch mit alten und kranken, die sich einig waren, dass ihre Lage beachtet werden muss und dass sie Rechenschaft für das, was ihnen widerfahren ist, verlangen“, sagte Khan.
"Unsere Arbeit, die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs, zielt darauf ab, ihre Standhaftigkeit und ihre Hoffnung auf die Macht des Gesetzes zu verteidigen."
Die Rohingya leiden seit Jahren unter unsäglichen Entbehrungen. Schätzungsweise 630.000 ethnische Rohingya, die im myanmarischen Bundesstaat Rakhine leben, können sich nicht frei bewegen und sind staatlicher Verfolgung und Gewalt ausgesetzt.
Die ethnische Rohingya-Minderheit in Myanmar sieht sich derzeit einer weiteren Welle tödlicher Gewalt ausgesetzt. Diesmal sollen die Täter jedoch die Arakan Army (AA), eine von mehreren ethnischen Gruppen, die gegen die herrschende Junta des Landes kämpft, sowie die Streitkräfte Myanmars (MAF) sein. In den letzten Monaten sind Zehntausende Menschen, darunter viele Rohingya, vor einer Großoffensive der AA, die dem Militär die Kontrolle über die Städte im Bundesstaat Rakhine entreißen will, geflohen.
Myanmar ist mit mehreren, sich überschneidenden humanitären Nöten konfrontiert, die durch Verfolgung, langwierige bewaffnete Konflikte, Gewalt zwischen den Gemeinschaften und Naturkatastrophen verursachtwerden. Der humanitäre Bedarf in Myanmar ist aufgrund der anhaltenden bewaffneten Gewalt und politischen Unruhen seit dem Militärputsch im Februar 2021 weiter gestiegen.
Nach einer Eskalation des Konflikts, die Ende Oktober 2023 begann, dauerten die Kämpfe zwischen den Streitkräften Myanmars und verschiedenen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen in mehreren Bundesstaaten und Regionen an, was zu weiteren Vertreibungen und zivilen Opfern führt.
Ausufernde bewaffnete Zusammenstöße, Beschuss, Luftangriffe und Militäroperationen haben dazu geführt, dass Menschen in Rekordzahlen aus ihren Häusern fliehen mussten. 3,4 Millionen Menschen sind nun landesweit Binnenvertriebene. Mindestens 3,1 Millionen Menschen sind seit der Machtübernahme des Militärs vor den Konflikten und der Unsicherheit geflohen. Ungefähr ein Drittel der derzeit vertriebenen Bevölkerung sind Kinder.
Viele Vertriebene leben in provisorischen Unterkünften oder informellen Lagern, wo es an Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung mangelt. In seinem neuesten Bericht zu Myanmar, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, berichtet OCHA, dass humanitäre Organisationen im ganzen Land weiterhin mit Zugangsbeschränkungen konfrontiert sind, hauptsächlich aufgrund andauernder Militäreinsätze, administrativer Beschränkungen, Gewalt gegen Mitarbeiter humanitärer Organisationen und Gefahren durch Naturkatastrophen.
Laut OCHA sind 12 der 15 Bundesstaaten und Regionen des Landes von den Kämpfen betroffen, seit sich der Konflikt zwischen den Sicherheitskräften Myanmars und verschiedenen bewaffneten Gruppen im Oktober letzten Jahres verschärft hat. Während sich die Lage immer weiter verschlechtert, benötigen 18,6 Millionen Menschen im Land humanitäre Hilfe – die fünftgrößte Zahl weltweit. 6 Millionen von ihnen sind Kinder.
Zusätzlich zu der Gefahr eskalierender und sich ausweitender Kampfhandlungen waren schätzungsweise eine Million Menschen – viele von ihnen bereits Binnenvertriebene – von den Folgen der jüngsten verheerenden Überschwemmungen betroffen. Seit September wurden 70 der 330 Gemeinden des Landes durch sintflutartige Monsunregenfälle und die Überreste des Taifuns Yagi überschwemmt.
Die Überschwemmungen forderten zahlreiche Todesopfer: In mehreren Regionen wurden mehr als 360 Tote und viele Verletzte gemeldet. Besonders schwer waren die Schäden im Nordwesten, Südosten und im Bundesstaat Rakhine. Das Hochwasser verwüstete Ernten, Ackerland und Viehbestände und zerstörte die Lebensgrundlagen gefährdeter Gemeinschaften.
Humanitäre Organisationen haben in den ersten drei Quartalen des Jahres fast 3 Millionen Menschen mit Hilfeleistungen erreicht, aber eine gravierende Unterfinanzierung verhinderte, dass sie die geplante Menge, Häufigkeit und Qualität der Hilfe leisten konnten, wie OCHA berichtet.
Zum Jahresende ist der Humanitäre Bedarfs- und Reaktionsplan (HNRP) 2024 nur zu 34 Prozent finanziert, was die Fähigkeit der humanitären Akteure, lebensrettende Hilfe für Menschen zu leisten, die dringend Unterstützung benötigen, drastisch einschränkt. Der HNRP zielt in diesem Jahr auf 5,3 Millionen der am stärksten gefährdeten Menschen.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Erklärung des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs Karim A.A. Khan KC: Antrag auf einen Haftbefehl in der Situation in Bangladesch/Myanmar, Internationaler Strafgerichtshof (IStGH), veröffentlicht am 27. November 2024 (in Englisch)
https://www.icc-cpi.int/news/statement-icc-prosecutor-karim-aa-khan-kc-application-arrest-warrant-situation-bangladesh
Vollständiger Text: Myanmar Humanitarian Update No. 42, UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), Bericht, veröffentlicht am 27. November 2024 (in Englisch)
https://reliefweb.int/report/myanmar/myanmar-humanitarian-update-no-42-27-november-2024