Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDPs) hat laut dem neuen Weltbericht über Binnenvertreibung, der am Dienstag vom Zentrum für die Beobachtung von Binnenvertreibungen (Internal Displacement Monitoring Centre, IDMC) veröffentlicht wurde, Ende 2024 einen Rekordwert von 83,4 Millionen erreicht. Das sind mehr als doppelt so viele Menschen wie noch vor sechs Jahren und entspricht etwa der Einwohnerzahl Deutschlands.
„Binnenvertreibung entsteht dort, wo Konflikte, Armut und Klimawandel aufeinanderprallen und die Schwächsten am härtesten treffen“, erklärte Alexandra Bilak, Direktorin des IDMC, in einer Stellungnahme.
„Diese neuesten Zahlen belegen, dass Binnenvertreibung nicht nur eine humanitäre Krise ist, sondern eine klare entwicklungspolitische und politische Herausforderung, die weitaus mehr Aufmerksamkeit erfordert, als ihr derzeit zuteilwird.“
Nach Angaben des IDMC waren fast 90 Prozent der Binnenvertriebenen, also 73,5 Millionen Menschen, durch Konflikte und Gewalt vertrieben worden, was einem Anstieg von 80 Prozent in sechs Jahren entspricht.
Die Zunahme bewaffneter Konflikte in den vergangenen Jahren in Ländern und Gebieten wie der Demokratischen Republik Kongo (DRK, DR Kongo), dem Libanon, den besetzten palästinensischen Gebieten (Palästina, OPT), dem Sudan und der Ukraine hat die Zahl der Binnenvertriebenen in die Höhe getrieben, die zu den Millionen Menschen hinzukommen, die in Ländern wie Afghanistan, Kolumbien, Syrien und Jemen in langwierigen Vertreibungssituationen leben.
Während allein der Sudan mit 11,6 Millionen Binnenvertriebenen einen Rekordwert verzeichnete, der höchsten jemals in einem einzelnen Land gemessenen Zahl, gab es Ende 2024 in zehn Ländern mehr als 3 Millionen Binnenvertriebene aufgrund von Konflikten und Gewalt, doppelt so viele wie vier Jahre zuvor. Unterdessen war fast die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens am Ende des Jahres nach wie vor innerhalb des Gebiets vertrieben.
Weitere 9,8 Millionen Menschen waren Ende 2024 Binnenvertriebene, nachdem sie aufgrund von Katastrophen wie extremen Überschwemmungen und tropischen Stürmen fliehen mussten. Dies entspricht einem Anstieg von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr und mehr als einer Verdopplung gegenüber dem Stand vor fünf Jahren.
Afghanistan mit 1,3 Millionen Binnenvertriebenen und Tschad mit 1,2 Millionen Binnenvertriebenen machten zusammen fast ein Viertel der Gesamtzahl aus. Stark betroffen waren auch die Philippinen.
„Binnenvertreibung macht selten Schlagzeilen, aber für die Betroffenen kann das Leid Jahre andauern. Die Zahlen dieses Jahres müssen ein Weckruf für die weltweite Solidarität sein“, sagte Jan Egeland, Generalsekretär der humanitären Organisation Norwegian Refugee Council (NRC), die hinter dem IDMC steht.
„Wie lange noch wird man zulassen, dass die Zahl der von Binnenvertreibung betroffenen Menschen aufgrund mangelnder Verantwortungsübernahme und Führung weiter und weiter wächst?“
Egeland sagte, dass jedes Mal, wenn humanitäre Mittel gekürzt werden, ein weiterer Vertriebener den Zugang zu „Nahrung, Medikamenten, Sicherheit und Hoffnung“ verliert.
„Im vergangenen Jahr habe ich mit Binnenvertriebenen in der DR Kongo, in Palästina und im Sudan gesprochen und ihnen zugehört, wie sie von den verheerenden Auswirkungen der Vertreibung auf ihr Leben und ihre Hoffnungen für die Zukunft berichteten“, fügte er hinzu.
„Der mangelnde Fortschritt ist sowohl ein politisches Versagen als auch ein moralischer Makel für die Menschheit. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Regierungen politischen Willen und finanzielle Investitionen für dauerhafte Lösungen für Vertreibung zeigen.“
In vielen Situationen mussten Frauen, Kinder und Männer im Laufe des letzten Jahres mehrfach fliehen, da sich die Kampfgebiete verlagerten, was ihre Gefährdung verschärfte und ihre Bemühungen um den Wiederaufbau ihres Lebens behinderte.
Gemeinsam waren die Demokratische Republik Kongo, die besetzten palästinensischen Gebiete und der Sudan im vergangenen Jahr für 12,3 Millionen Binnenvertreibungen oder Zwangsumsiedlungen verantwortlich, was fast 60 Prozent der weltweiten Vertreibungen aufgrund von Konflikten ausmacht.
Naturkatastrophen verursachten im Jahr 2024 45,8 Millionen Binnenvertreibungen, die höchste jährliche Zahl seit Beginn der Erfassung von Katastrophenvertreibungen durch das IDMC im Jahr 2008 und mehr als doppelt so viel wie im Jahresdurchschnitt der letzten zehn Jahre.
Das IDMC berichtet, dass wetterbedingte Ereignisse, von denen viele durch den Klimawandel verschärft wurden, 99,5 Prozent der Vertreibungen durch Naturkatastrophen in diesem Jahr verursachten.
Während Wirbelstürme wie Zyklone und Taifune 54 Prozent der vertriebenen Menschen zur Flucht zwangen, waren Überschwemmungen für weitere 42 Prozent verantwortlich. Von diesen extremen Wetterereignissen waren alle Kontinente betroffen, darunter Afrika, Asien, Südamerika und auch Europa.
Unterdessen hat sich die Zahl der Länder, in denen sowohl konflikt- als auch katastrophenbedingte Vertreibungen gemeldet wurden, seit 2009 verdreifacht. Ende 2024 lebten zudem mehr als 75 Prozent der durch Konflikte und Gewalt vertriebenen Menschen in Ländern mit hoher oder sehr hoher Anfälligkeit für den Klimawandel.
„Die Kosten der Untätigkeit steigen, und die Vertriebenen zahlen den Preis dafür“, sagte Bilak.
„Die Daten sind eindeutig: Es ist jetzt an der Zeit, sie zu nutzen, um Vertreibung zu verhindern, den Wiederaufbau zu unterstützen und Resilienz aufzubauen. Die Lösung des Problems der Vertreibung erfordert sowohl sofortige Maßnahmen, um Menschen zu helfen, die alles verloren haben, als auch Investitionen, um die zugrunde liegenden Schwachstellen zu beseitigen, damit Menschen gar nicht erst vertrieben werden.“
Der Weltbericht über Binnenvertreibungen (Global Report on Internal Displacement, GRID) des IDMC ist die führende Quelle für Daten und Analysen zur Lage der Binnenvertreibungen des Vorjahres. Jedes Jahr legt das Internal Displacement Monitoring Centre validierte Schätzungen zu Binnenvertreibungen aufgrund von Konflikten und Naturkatastrophen sowie die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen weltweit vor. Für Ende 2023 hatte das IDMC im Vorjahr insgesamt 75,9 Millionen Binnenvertriebene gemeldet.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) ist ein wichtiger Partner des GRID und leistet mit ihrer Displacement Tracking Matrix (DTM) – der weltweit größten Quelle für Primärdaten zu Binnenvertreibungen – einen wesentlichen Beitrag. Mehr als die Hälfte der Hochrechnungen im Bericht 2025 basieren auf den Datenerhebungen und Analysen der IOM.
Das IDMC liefert Schätzungen zur Zahl der Menschen, die innerhalb ihres Landes vertrieben wurden oder von Vertreibung bedroht sind. Der in Genf ansässige Informationsdienst wurde 1998 gegründet und ist Teil des Norwegian Refugee Council, eine unabhängige humanitäre Organisation, die Menschen hilft, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Der NRC-Hauptsitz befindet sich in Oslo, Norwegen.
Die Nichtregierungsorganisation (NGO), die Vertriebene schützt und unterstützt, wurde 1946 gegründet und begann seine Arbeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute ist sie eine der weltweit größten NGOs, die Flüchtlingen und Binnenvertriebenen hilft. Der Schwerpunkt des NRC liegt auf der Bereitstellung humanitärer Nothilfe unmittelbar nach Konflikten oder Naturkatastrophen. Gegenwärtig ist der Norwegian Refugee Council in 40 Ländern in neuen und langwierigen Krisen tätig.
Weitere Informationen
Volltext: Global Report on Internal Displacement 2025, Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), Bericht, veröffentlicht am 13. Mai 2025 (in Englisch)
https://api.internal-displacement.org/sites/default/files/publications/documents/idmc-grid-2025-global-report-on-internal-displacement.pdf