Die Kriegsparteien im Sudan haben eine erschreckende Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen und internationalen Verbrechen begangen, von denen viele möglicherweise als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind, erklärten von den Vereinten Nationen benannte Experten am Freitag. Sie forderten die sofortige Entsendung einer „unabhängigen und unparteiischen Truppe“ mit einem Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung.
Der sudanesische Bürgerkrieg zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF), der am 15. April vergangenen Jahres begann, hat Zehntausende von Menschen getötet und verletzt, zu weit verbreiteten Gräueltaten geführt und eine Rekordzahl von Vertriebenen hervorgerufen, wobei mehr als 10 Millionen Menschen gezwungen waren, aus ihrer Heimat zu fliehen.
Der Krieg hat außerdem die größte humanitäre Krise der Welt, die größte Binnenvertreibungskrise der Welt und die schlimmste Hungerkrise der Welt verursacht.
In einem ersten Bericht, der am Freitag veröffentlicht wurde, erklärte die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für den Sudan, dass sowohl die SAF als auch die RSF sowie ihre jeweiligen Verbündeten für umfangreiche Rechtsverletzungen verantwortlich seien. Dazu gehörten wahllose und direkte Angriffe aus der Luft und mit Artillerie gegen Zivilisten, Schulen, Krankenhäuser, Kommunikationsnetze und die lebenswichtige Wasser- und Stromversorgung.
Die unabhängigen Experten stellten fest, dass die Kriegsparteien auch Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sowie Folter und Misshandlungen gegen die Zivilbevölkerung sowie gegen diejenigen, die Überlebende unterstützten oder Verstöße dokumentierten, verübten. Diese Rechtsverletzungen können Kriegsverbrechen darstellen, die Gewalt gegen das Leben und die Person sowie eine Verletzung der Menschenwürde beinhalten.
„Die Schwere dieser Erkenntnisse unterstreicht den dringenden und sofortigen Handlungsbedarf zum Schutz der Zivilbevölkerung“, sagte Mohamed Chande Othman, Vorsitzender der Untersuchungsmission.
„Angesichts der Tatsache, dass die Kriegsparteien die Zivilbevölkerung nicht verschont haben, ist es zwingend erforderlich, dass eine unabhängige und unparteiische Truppe mit einem Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung unverzüglich eingesetzt wird“, so Othman.
Er fügte hinzu, dass „der Schutz der Zivilbevölkerung an erster Stelle steht und alle Parteien ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und alle Angriffe auf die Zivilbevölkerung unverzüglich und bedingungslos einstellen müssen“.
In dem Bericht wurde auch festgestellt, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass die RSF und die mit ihr verbündeten Milizen weitere Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und Plünderung begangen sowie die Vertreibung von Zivilisten und die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren zur Teilnahme an Feindseligkeiten angeordnet haben.
Die grausamen Übergriffe der RSF und ihrer Verbündeten gegen nicht-arabische Gemeinschaften - insbesondere die Masalit in und um die Stadt El Geneina, West-Darfur - umfassten Tötungen, Folter, Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, Zerstörung von Eigentum und Plünderungen.
Dem Bericht zufolge gibt es auch hinreichende Gründe für die Annahme, dass die von der RSF und den mit ihr verbündeten Milizen begangenen Handlungen zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen, darunter Mord, Folter, Versklavung, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und andere Formen sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere, Verfolgung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit und des Geschlechts sowie gewaltsame Vertreibung.
Seit Beginn des Krieges wurden mindestens 10,6 Millionen Menschen - darunter mehr als 5 Millionen Kinder - durch den andauernden Konflikt vertrieben. Während mehr als 8,2 Millionen Menschen - Sudanesen und bereits im Land lebende Flüchtlinge - gezwungen waren, innerhalb des Sudans zu fliehen, haben mehr als 2,4 Millionen Frauen, Männer und Kinder in anderen Ländern Zuflucht gesucht.
Der Krieg, der sich auf 14 der 18 Bundesstaaten des Landes ausgeweitet hat, wird mit einem neuen Maß an Gewalt und Brutalität gegen die Zivilbevölkerung geführt, insbesondere in den Bundesstaaten von Darfur. Vor allem die RSF wird beschuldigt, in Darfur massenhaft Gräueltaten begangen zu haben. Beide Konfliktparteien sind jedoch schwerer Kriegsverbrechen beschuldigt worden.
Mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung - etwa 25 Millionen Menschen - ist infolge des Krieges auf humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen. Unter den Notleidenden befinden sich mehr als 14 Millionen Kinder. Dem Bericht der Experten zufolge haben die Kriegsparteien die Krise verschärft, indem sie den Zugang für humanitäre Hilfe behinderten.
Eine kürzlich durchgeführte Bewertung der Ernährungslage ergab, dass 25,6 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen sind. 13 Gebiete sind von einer Hungersnot bedroht, und der Ausschuss für die Überprüfung von Hungersnöten der IPC hat im Lager Zamzam in der Nähe von El Fasher in Nord-Darfur eine Hungersnot ausgerufen. Die 14 Gebiete, in denen entweder eine Hungersnot herrscht oder die von einer Hungersnot bedroht sind, befinden sich hauptsächlich in Darfur, Kordofan, Khartum und Al-Jazira.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) benötigen fast 15 Millionen Menschen im Land dringend medizinische Hilfe, um zu überleben. In den vom Krieg am stärksten betroffenen sudanesischen Bundesstaaten sind weniger als 25 Prozent der Gesundheitseinrichtungen funktionsfähig, in anderen Bundesstaaten sind es nur 45 Prozent.
„Die Menschen im Sudan haben eine unvorstellbare Tragödie erlitten“, sagte Joy Ngozi Ezeilo, Expertenmitglied der Untersuchungskommission.
„Ein dauerhafter Waffenstillstand muss Priorität haben, um die Kämpfe zu beenden, in das die Zivilbevölkerung hineingezogen wird, und die wirksame Bereitstellung der dringend benötigten humanitären Hilfe für alle Bedürftigen unabhängig von ihrem Aufenthaltsort zu ermöglichen.“
Die jüngsten Waffenstillstandsgespräche im Sudan, die von den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien vermittelt wurden, haben den seit 16 Monaten andauernden Konflikt im Land zwar nicht beenden können, doch ist es gelungen, den humanitären Zugang zu Millionen von Menschen zu verbessern, die seit vielen Monaten keine Nahrungsmittel, Medikamente und andere lebenswichtige Hilfsgüter mehr erhalten haben.
In dem Bericht wird empfohlen, das bestehende Waffenembargo in Darfur laut der Resolution 1556 (2004) des Sicherheitsrats und nachfolgenden Resolutionen auf den gesamten Sudan auszuweiten, um die Lieferung von Waffen, Munition und sonstiger logistischer oder finanzieller Unterstützung an die Kriegsparteien zu unterbinden und eine weitere Eskalation zu verhindern.
Diejenigen, die Waffen liefern, sind möglicherweise mitschuldig an schweren Verstößen gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht, warnten die Experten.
Da die Bemühungen der sudanesischen Behörden, die für internationale Verbrechen verantwortlichen Personen zu ermitteln und strafrechtlich zu verfolgen, von mangelnder Bereitschaft, selektiver Justiz und fehlender Unparteilichkeit geprägt waren, wird es eine große Herausforderung sein, die Opfer zur Rechenschaft zu ziehen.
In dem Bericht wird auch die Einrichtung eines eigenen internationalen Strafrechtsmechanismus gefordert, der neben dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) arbeiten und diesen ergänzen soll.
„Diese Ergebnisse sollten ein Weckruf an die internationale Gemeinschaft sein, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um die Überlebenden, ihre Familien und die betroffenen Gemeinschaften zu unterstützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte das Expertenmitglied Mona Rishmawi.
„Ein umfassender Ansatz für die Übergangsjustiz ist unerlässlich, um die Ursachen des Konflikts zu bekämpfen und die Rechenschaftspflicht zu gewährleisten.
Othman lobte die verschiedenen Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen, und erklärte, dass „die Menschen im Sudan eine Zukunft verdienen, die von Frieden, Wohlstand und der Achtung der Menschenrechte geprägt ist“.
„Die internationale Gemeinschaft muss das sudanesische Streben nach einer inklusiven und repräsentativen Zivilregierung, welche die Rechte aller Bürger respektiert, unterstützen“, sagte Othman. „Diese Unterstützung ist unerlässlich, um einen Weg zu Gleichheit, Gerechtigkeit und nachhaltigem Frieden im Sudan zu fördern.“
Der UN-Menschenrechtsrat richtete die Untersuchungsmission im Oktober 2023 mit der Resolution A/HRC/RES/54/2 ein. Es dauerte jedoch geraume Zeit, bis der Präsident des Menschenrechtsrats im Dezember Mohamed Chande Othman als Vorsitzenden der Untersuchungsmission und Joy Ngozi Ezeilo und Mona Rishmawi als Mitglieder ernannte.
Der Bericht stützt sich auf Untersuchungen, die zwischen Januar und August 2024 durchgeführt wurden. Dazu gehörten Besuche im Tschad, in Kenia und Uganda, Aussagen aus erster Hand von 182 Überlebenden, Familienmitgliedern und Augenzeugen, ausführliche Konsultationen mit Experten und Mitgliedern der Zivilgesellschaft sowie die Überprüfung und Analyse zusätzlicher Informationen, die der Untersuchungsmission übermittelt wurden.
Weiterführende Informationen
Vollständiger Text: Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für den Sudan (A/HRC/57/23), veröffentlicht am 6. September 2024 (in Englisch)
https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session57/advance-versions/A_HRC_57_23_AdvanceUneditedVersion.docx
Website: Unabhängige Internationale Untersuchungskommission für den Sudan (in Englisch)
https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/ffm-sudan/index