Bei neuerlichen israelischen Luftangriffen gegen die Palästinenser im Gazastreifen sind am Dienstag Hunderte Menschen getötet worden, darunter mehr als 100 Kinder, und Hunderte weitere wurden verletzt, wie Behördenvertreter im Gazastreifen bekannt gaben. Der Bruch der Waffenruhe im Gazastreifen und die große Zahl ziviler Todesopfer haben bei hochrangigen Vertretern der Vereinten Nationen und humanitären Organisationen auf der ganzen Welt für Entsetzen gesorgt.
Der Krieg in Gaza ist in den letzten 48 Stunden nach dem offenbaren Scheitern eines zweimonatigen Waffenstillstands zwischen Israel und der palästinensischen bewaffneten Gruppe Hamas dramatisch eskaliert. Das gemeldete Fehlschlagen der Verhandlungen hat eine der heftigsten Angriffswellen seit Beginn des Konflikts ausgelöst.
Israel startete am Montag eine brutale Militärkampagne im gesamten Gebiet, wobei am Dienstag besonders viele Angriffe verzeichnet wurden. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen wurden am Dientag mehr als 400 Menschen getötet und mindestens 560 verletzt. Eine Reihe weiterer Opfer seien noch unter den Trümmern begraben, so das Ministerium.
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) gab heute in einer Erklärung bekannt, dass einige der Luftangriffe Berichten zufolge provisorische Unterkünfte mit schlafenden Kindern und Familien getroffen hätten, und stellte fest, dass dies „eine weitere tödliche Mahnung sei, dass es im Gazastreifen keinen sicheren Ort gibt“.
„Die Berichte und Bilder, die nach den heutigen Angriffen aus dem Gazastreifen kommen, sind mehr als schrecklich. Berichten zufolge wurden Hunderte von Menschen getötet, darunter mehr als 130 Kinder, was die höchste Zahl an Todesopfern unter Kindern an einem einzigen Tag im letzten Jahr darstellt“, sagte UNICEF-Geschäftsführerin Catherine Russell.
„Die jüngsten Angriffe erfolgen, während die Einfuhr lebensrettender Hilfsgüter nach Gaza weiterhin blockiert ist, was die Risiken für Kinder erhöht. Es ist sechzehn Tage her, dass der letzte Lastwagen mit humanitärer Hilfe nach Gaza kam. Außerdem wurde die Stromversorgung der Hauptentsalzungsanlage unterbrochen, wodurch die Menge an Trinkwasser erheblich reduziert wurde.“
Die Blockade Israels der humanitären Hilfe ist eine grobe Verletzung des humanitären Völkerrechts und ein eklatantes Kriegsverbrechen, das das Leben von mehr als zwei Millionen Menschen gefährdet, die dringend humanitäre Unterstützung benötigen. Außerdem hat Israel die Stromversorgung einer Entsalzungsanlage für Trinkwasser in Gaza unterbrochen und damit die Zivilbevölkerung des für ihr Überleben lebenswichtigen Wassers beraubt.
Russell sagte, dass die eine Million Kinder in Gaza, die mehr als 15 Monate Krieg ertragen mussten, wieder in eine Welt der Angst und des Todes gestürzt wurden.
„Die Angriffe und die Gewalt müssen aufhören – jetzt“, forderte sie.
Volker Türk, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, sagte, er sei entsetzt über die israelischen Luftangriffe und den Beschuss in Gaza in der vergangenen Nacht.
„Dies wird eine Tragödie zur nächsten fügen", sagte er und merkte an, dass die letzten 18 Monate der Gewalt mehr als deutlich gemacht hätten, dass es keinen militärischen Ausweg aus dieser Krise gebe. Der einzige Weg nach vorne sei eine politische Lösung im Einklang mit dem Völkerrecht.
„Israels Rückgriff auf noch mehr militärische Gewalt wird nur noch mehr Elend über eine palästinensische Bevölkerung bringen, die bereits unter katastrophalen Bedingungen leidet“, sagte er. „Dieser Albtraum muss sofort enden.“
Muhannad Hadi, der Koordinator für humanitäre Hilfe im besetzten palästinensischen Gebiet (OPT), bezeichnete die Tötungen als skrupellos und fügte hinzu, dass die Waffenruhe sofort wiederhergestellt werden müsse.
„Die Menschen in Gaza haben unvorstellbares Leid ertragen. Ein Ende der Feindseligkeiten, nachhaltige humanitäre Hilfe, die Freilassung der Geiseln und die Wiederherstellung der Grundversorgung und der Lebensgrundlagen der Menschen sind der einzige Weg nach vorne“, sagte er.
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich heute schockiert über die israelischen Luftangriffe in Gaza und forderte die Einhaltung der Waffenruhe, die ungehinderte Wiederaufnahme der humanitären Hilfe und die bedingungslose Freilassung der verbleibenden Geiseln.
In einem Journalistengespräch in Genf sagte Guterres, die Situation in Gaza sei untragbar, nachdem Berichten zufolge Hunderte von Menschen getötet worden seien.
Tom Fletcher, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator, der den UN-Sicherheitsrat am Dienstagmorgen informierte, sagte, dass über Nacht „unsere schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind“.
„Neue Evakuierungsbefehle wurden von den israelischen Streitkräften erlassen, und wieder einmal leben die Menschen in Gaza in abgrundtiefer Angst. Die bescheidenen Errungenschaften, die während der Waffenruhe gemacht wurden, sind zunichte gemacht“, sagte er.
Fletcher warnte, dass die derzeitige Blockade von Nothilfe und Handelsgütern die während der Waffenruhe erzielten Fortschritte rückgängig mache. Überlebenswichtige Ressourcen würden nun rationiert.
Seit dem 2. März haben die israelischen Behörden alle lebensrettenden Güter – Lebensmittel, Medikamente, Brennstoff, Kochgas – für 2,1 Millionen Menschen abgeschnitten. Wiederholte Anfragen der Vereinten Nationen, Hilfsgüter am Grenzübergang Kerem Shalom abzuholen, wo Lebensmittel verrotten und Medikamente ablaufen, wurden systematisch verweigert.
Als Besatzungsmacht ist Israel nach dem humanitären Völkerrecht, insbesondere nach der Vierten Genfer Konvention, rechtlich verpflichtet, die Lieferung humanitärer Hilfe an notleidende Zivilisten zuzulassen und zu erleichtern, einschließlich der Lieferung von Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern.
Die vorsätzliche Behinderung der Hilfe stellt einen schweren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und ein Kriegsverbrechen nach internationalem Recht dar. Auch die kollektive Bestrafung von Zivilisten ist ein schweres Kriegsverbrechen.
„Diese totale Blockade von lebensrettender Hilfe, Grundbedarfsgütern und Handelswaren wird verheerende Auswirkungen auf die Menschen in Gaza haben, die weiterhin auf einen stetigen Zufluss von Hilfe in den Gazastreifen angewiesen sind“, warnte Fletcher.
Die 42-tägige Waffenruhe habe bewiesen, was möglich sei, sagte er dem Sicherheitsrat. “Hilfslieferungen wurden ermöglicht und wir haben sie schnell und effektiv ausgeweitet.“
Eine Rückkehr zu den Bedingungen vor dem Waffenstillstand oder eine vollständige Verweigerung der humanitären Hilfe sei inakzeptabel, sagte Fletcher und fügte hinzu, dass Zivilisten geschützt und ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden müssten. Das Völkerrecht müsse respektiert werden.
Der UN-Untergeneralsekretär sagte, dass humanitäre Hilfe und lebensnotwendige Handelsgüter nach Gaza gelassen werden müssten, der Waffenstillstand erneuert werden müsse und die humanitäre Hilfe finanziert werden müsse.
„Zuallererst muss der Zugang von humanitärer Hilfe und lebensnotwendigen Handelsgütern nach Gaza erlaubt werden. Es ist skrupellos, Menschen, die auf Lebensmittel, Wasser und Medikamente angewiesen sind, diese zu verweigern. Dies verstößt auch gegen das humanitäre Völkerrecht und die einstweiligen Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs“, sagte Fletcher.
Am 19. Januar trat in Gaza ein von Ägypten, Katar und den Vereinigten Staaten ausgehandeltes Waffenstillstandsabkommen in Kraft. Die erste Phase des Abkommens dauerte 42 Tage.
Während der ersten Phase des Waffenstillstands in Gaza, die bis zum 1. März 2025 andauerte, konnten humanitäre Organisationen rasch eine vorbereitete Ausweitung ihrer Hilfsmaßnahmen umsetzen. Die Einstellung der israelischen Angriffe ermöglichte die tägliche Einfuhr großer Mengen an humanitären Hilfsgütern und einen stetigen Nachschub an Treibstoff.
Außerdem verbesserte sich die allgemeine Sicherheitslage und der Zugang für humanitäre Hilfe in Gaza erheblich. Während der ersten Phase fuhren 42.000 Lastwagen mit Gütern und humanitärer Hilfe in den Gazastreifen ein. Jede Woche überquerten mehr als 4.000 Lastwagen mit Hilfsgütern die Grenze nach Gaza und erreichten mehr als zwei Millionen Menschen.
Die humanitäre Organisation Plan International teilte heute mit, dass sie über die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten in Gaza entsetzt sei. Im Zuge der israelischen Luftangriffe in der Nacht seien Hunderte von Menschen getötet worden, darunter viele Kinder und Frauen. Dies sei ein eklatanter, wahlloser Angriff auf Zivilisten.
Wahllose Angriffe auf Zivilisten sind nach internationalem Recht Kriegsverbrechen.
„Wir verurteilen diesen erneuten Angriff des israelischen Militärs auf Kinder und alle Zivilisten in Gaza“, sagte Unni Krishnan, Leiter der humanitären Hilfe bei Plan International.
„Die Kinder in Gaza haben bereits genug gelitten – sie haben den Verlust ihrer Leben, ihrer Familien, ihrer Häuser, ihrer Schulen, ihrer Krankenhäuser, ihrer Gemeinden und ihrer Menschlichkeit ertragen. Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben. Das muss aufhören.“
Auch der Norwegian Refugee Council (NRC) kann seit dem 2. März keine Hilfe mehr leisten. Die humanitäre Organisation hat mehr als 50 Lastwagen mit Unterkünften, Bildungs-, Reinigungs- und Hygieneartikeln auf der ägyptischen Seite der Grenze warten.
„Die palästinensische Zivilbevölkerung hat 17 Monate unerbittlicher Feindseligkeiten ertragen, und nach Wochen einer totalen Hilfsblockade haben sie jetzt nur noch wenig Nahrung, sauberes Wasser und medizinische Versorgung. Unter den Familien, die bereits von Abfällen leben, könnte eine Hungersnot ausbrechen“, sagte Jan Egeland, Generalsekretär des NRC, am Dienstag.
„Das Gesundheitssystem in Gaza ist zusammengebrochen. Nur eine Handvoll Krankenhäuser sind noch teilweise funktionsfähig, überlastet und ohne Vorräte. Viele Verletzte der Angriffe von letzter Nacht werden keine medizinische Versorgung erhalten, da die Ärzte Schwierigkeiten haben, die Verletzten ohne Medikamente, ohne Ausrüstung und ohne Treibstoff zu behandeln.“
Egeland forderte die Regierungen auf, jetzt zu handeln.
„Israels Belagerung, Bombardierung und Tötung von Zivilisten kann nicht mit weiteren leeren Worten beantwortet werden. Staaten mit Einfluss müssen ein Ende der Angriffe fordern und sicherstellen, dass die Hilfe sofort in Gaza ankommt. Ohne Intervention werden weitere Menschenleben verloren gehen, und die Geschichte wird ihr Versagen niederschreiben."
Der Generalsekretär des NRC sagte: „Ein Waffenstillstand ist nicht nur notwendig – er ist der einzige Weg, um eine weitere Katastrophe zu verhindern.“
Seit dem 7. Oktober 2023 wurden Berichten zufolge in Gaza mehr als 49.000 Palästinenser getötet und mehr als 112.000 verletzt, die meisten von ihnen Zivilisten. Die tatsächlichen Zahlen liegen jedoch Schätzungen zufolge weitaus höher. Unter den Toten befinden sich mindestens 387 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, 279 UN-Mitarbeiter, 1060 Mitarbeiter des Gesundheitswesens und 200 Journalisten.
Vor der vollständigen Blockade durch die israelische Regierung wurde die humanitäre Hilfe für Gaza über ein Jahr lang von israelischen Amtsträgern behindert, was eine grobe Verletzung des humanitären Völkerrechts darstellt und offensichtlich als Kriegsführungsmethode eingesetzt wurde.
Der Krieg Israels in Gaza ist durch immer wiederkehrende Muster schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichnet, die von israelischen Vertretern des Militärs und der Regierung begangen werden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit der Situation in Gaza gesucht, nachdem der IStGH im November einen Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen hat.
Zu den schlimmsten Verbrechen, die von israelischen Amtsträgern bislang in Gaza begangen wurden, gehören die kollektive Bestrafung von Zivilisten, der Einsatz von Hunger als Kriegswaffe, die Verweigerung humanitärer Hilfe, gezielte Tötungen von Zivilisten, wahllose Tötungen von Zivilisten, unverhältnismäßige Angriffe, gewaltsame Vertreibungen, Folter, Verschleppungen und andere Gräueltaten.
Eine wachsende Zahl unabhängiger Rechtsexperten, internationaler Ausschüsse und Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International – ist zu dem Schluss gekommen, dass Israels Vorgehen gegen Palästinenser als Gruppe in Gaza einem Völkermord gleichkommt.
Der Begriff „Völkermord“ beschreibt Gewaltverbrechen, die gegen eine Gruppe mit der Absicht begangen werden, die Existenz der Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Gemäß der Völkermordkonvention zählen zu den Handlungen, die einem Völkermord gleichkommen, auch die absichtliche Herbeiführung von Lebensbedingungen, die auf die physische Zerstörung einer Gruppe oder eines Teils einer Gruppe abzielen.