Am 25. August jährt sich zum siebten Mal der Beginn einer Kampagne von Massengräueltaten durch die Sicherheitskräfte Myanmars im Bundesstaat Rakhine, die mehr als 700.000 Rohingya zur Flucht nach Bangladesch zwang. Der UN-Menschenrechtschef, Volker Türk, äußerte am Freitag seine große Besorgnis über die sich rapide verschlechternde Sicherheitslage in ganz Myanmar, insbesondere in Rakhine, wo Berichten zufolge Hunderte Zivilisten – überwiegend Rohingya – bei dem Versuch, vor den anhaltenden Kämpfen zu fliehen, getötet wurden.
„In diesem Monat jähren sich die Militäroperationen, die 700.000 Menschen über die Grenze nach Bangladesch vertrieben haben, zum siebten Mal. Obwohl die Welt ‚nie wieder‘ sagt, erleben wir in Rakhine erneut Morde, Zerstörung und Vertreibung“, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Türk in einer Stellungnahme.
Die Kampagne der Massengräueltaten im Bundesstaat Rakhine begann am 25. August 2017. Mindestens 740.000 Rohingya-Muslime kamen 2017 nach koordinierten Angriffen des myanmarischen Militärs in bereits überfüllten Flüchtlingslagern in Bangladesch im Distrikt Cox's Bazar an. Sie schlossen sich Hunderttausenden anderer Rohingya an, die zuvor im Land Zuflucht gesucht hatten.
Die ethnische Minderheit der Rohingya in Myanmar sieht sich derzeit einer weiteren Welle tödlicher Gewalt ausgesetzt. Diesmal soll es sich bei den Tätern jedoch sowohl um die Arakan Army (AA) handeln, eine von mehreren ethnischen Gruppen, die gegen die herrschende Junta des Landes kämpfen, als auch um die Sicherheitskräfte Myanmars.
In den letzten vier Monaten sind Zehntausende Menschen, darunter viele Rohingya, vor einer Großoffensive der Arakan Army geflohen, welche die Kontrolle über die Städte Buthidaung und Maungdaw vom Militär erlangen wollte. Bei einem der tödlichsten Angriffe entlang des Naf-Flusses an der Grenze zu Bangladesch am 5. August wurden Berichten zufolge Dutzende Zivilisten getötet, unter anderem durch bewaffnete Drohnen, als die Menschen versuchten, den Feindseligkeiten zu entkommen.
Laut dem UN-Menschenrechtsbüro (OHCHR) ist nach wie vor unklar, welche Konfliktpartei dafür verantwortlich ist. Augenzeugenberichten zufolge steckt die AA hinter den Angriffen vom 5. August, obwohl die nichtstaatliche bewaffnete Gruppe eine Beteiligung bestreitet.
„Die Konfliktparteien geben Erklärungen ab, in denen sie die Verantwortung für Angriffe auf Rohingya und andere leugnen, und tun so, als seien sie nicht in der Lage, sie zu schützen. Das sprengt den Rahmen des Glaubwürdigen“, sagte Türk.
Sowohl die Arakan Army als auch die Streitkräfte Myanmars (MAF) sahen sich in den letzten Monaten mit den schwerwiegendsten Vorwürfen gezielter Gewalt gegen die Rohingya in Rakhine konfrontiert
„Tausende Rohingya mussten zu Fuß fliehen, wobei die Arakan-Armee sie wiederholt an Orte trieb, die kaum einen sicheren Zufluchtsort bieten“, sagte Türk.
„Da die Grenzübergänge nach Bangladesch weiterhin geschlossen sind, sitzen Mitglieder der Rohingya-Gemeinschaft zwischen dem Militär und seinen Verbündeten und der Arakan Army fest, ohne einen Weg in die Sicherheit zu finden.“
Trotz wiederholter Warnungen und Aufrufe zum Handeln unterstreiche die anhaltende Gewalt das vorherrschende Gefühl der Straflosigkeit und die anhaltenden Herausforderungen bei der Gewährleistung des Schutzes der Zivilbevölkerung im Einklang mit dem Völkerrecht, so der UN-Hochkommissar.
Laut den vom OHCHR dokumentierten Informationen haben sowohl die MAF als auch die Arakan Army, die nun die Mehrheit der Townships in Rakhine kontrolliert, schwere Menschenrechtsverletzungen und -verstöße gegen die Rohingya begangen, darunter außergerichtliche Tötungen, einige davon Enthauptungen, Entführungen, Zwangsrekrutierungen, wahllose Bombardierung von Städten und Dörfern mit Drohnen und Artillerie sowie Brandanschläge.
Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros stehen solche Angriffe in krassem Widerspruch zu den Verpflichtungen aller Parteien nach dem humanitären Völkerrecht und den vom Internationalen Gerichtshof (IGH) angeordneten vorläufigen Maßnahmen zum Schutz der Rohingya vor der Gefahr weiterer Schädigungen.
Im Januar 2020 erließ der Internationale Gerichtshof eine Anordnung, in der er Myanmar aufforderte, „alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen“, um die Begehung von in der Völkermordkonvention definierten Handlungen zu verhindern, einschließlich der Sicherstellung, dass sein Militär und alle irregulären bewaffneten Einheiten von der Begehung solcher Handlungen absehen.
„Sowohl das Militär als auch die Arakan-Armee tragen direkte Verantwortung für die menschliche Tragödie, die sich in Rakhine abspielt“, sagte Türk und forderte beide Parteien auf, Angriffe auf Zivilisten sofort einzustellen, die vor dem Konflikt fliehenden Menschen zu schützen und ihnen ungehinderten Zugang zu lebensrettender humanitärer Hilfe zu gewähren.
„Diese Gräueltaten erfordern eine unmissverständliche Reaktion – die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden und es muss unnachgiebig Gerechtigkeit angestrebt werden“, fügte er hinzu.
Glaubwürdige Quellen berichten von einer steigenden Zahl von Rohingya, von denen fast die Hälfte Kinder sind, die wegen konfliktbedingter Verletzungen Hilfe suchen. Es gibt auch Berichte über Menschen, die an Durchfall sterben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben und unter völlig unzureichenden Lebensbedingungen leben.
Laut OHCHR wurden Lebensmittellager, die lebenswichtige Vorräte für die Zivilbevölkerung enthielten, angegriffen, geplündert und niedergebrannt. Krankenhäuser in Buthidaung und Maungdaw wurden aufgrund der Gewalt geschlossen, was eine bereits schwere humanitäre Krise verschärfte, die durch einen weit verbreiteten Ausfall der Telekommunikation noch verschlimmert wurde.
„Die Wiederholung der Verbrechen und Schrecken der Vergangenheit muss als moralische Pflicht und rechtliche Notwendigkeit verhindert werden. Es liegt in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, allen voran der ASEAN [Verband Südostasiatischer Nationen], alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Rohingya und anderer ziviler Opfer dieses grausamen Konflikts zu ergreifen“, so der Hohe Kommissar.
Im August 2017 leitete die Regierung Myanmars eine Militäroffensive ein, die Hunderttausende Rohingya zwang, aus ihren Häusern im Bundesstaat Rakhine in Myanmar die Flucht nach Bangladesch zu ergreifen. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Offensive als ethnische Säuberung, die Vereinigten Staaten erklärten, die Regierung Myanmars habe einen Völkermord an den Rohingya begangen.
In Bangladesch leben noch immer fast eine Million Rohingya-Flüchtlinge in Flüchtlingslagern in einem Gebiet an der Küste des Golfs von Bengalen, das extrem anfällig für Wirbelstürme, Überschwemmungen, Erdrutsche, Brände und die Auswirkungen des Klimawandels ist.
Sie befinden sich derzeit in den Flüchtlingslagern Kutupalong und Nayapara in der Region Cox's Bazar in Bangladesch. Seit Jahrzehnten sind die Rohingya, eine ethnische muslimische Minderheit, in Myanmar institutionalisierter Diskriminierung ausgesetzt, einschließlich des Ausschlusses von der Staatsbürgerschaft.
Die Flüchtlinge leben nun in einem 28 Quadratkilometer großen Lager, das sich in einem Zustand der Verwahrlosung befindet und einst ein Zufluchtsort für seltene asiatische Wildelefanten war. Die Rohingya-Flüchtlinge sind fast vollständig auf humanitäre Hilfe angewiesen, da sie die Lager nicht verlassen und nicht legal arbeiten können, um ihre Familien zu ernähren.
Jahrelang haben die Rohingya unsägliches Leid ertragen. Schätzungsweise 630.000 ethnische Rohingya, die im myanmarischen Bundesstaat Rakhine leben, können sich nicht frei bewegen und sind staatlicher Verfolgung und Gewalt ausgesetzt.
Myanmar ist in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt, der seit 2021, als das Militär des Landes durch einen Putsch die Macht übernahm, Tausende Zivilisten das Leben gekostet hat. In den letzten Monaten hat eine Koalition ethnischer Rebellen, darunter die AA, ihre Offensive zur Vertreibung der Junta verschärft, die aus weiten Teilen der Bundesstaaten Shan, Chin und Rakhine vertrieben wurde.
Inmitten der sich verschlechternden Lage benötigen 18,6 Millionen Menschen im Land humanitäre Hilfe – die fünftgrößte Zahl weltweit. 6 Millionen von ihnen sind Kinder.
Myanmar sieht sich mit mehreren, sich überschneidenden humanitären Notlagen konfrontiert, die durch Verfolgung, langwierige bewaffnete Konflikte, Gewalt zwischen den Gemeinschaften und Naturkatastrophen verursacht werden. Die humanitären Bedarfe in Myanmar sind aufgrund der anhaltenden bewaffneten Gewalt und politischen Unruhen seit dem Militärputsch im Februar 2021 weiter gestiegen.
Die Zahl der Menschen, die aus ihren Häusern fliehen, erreicht Rekordwerte, zumal sich der Konflikt auf weite Teile des Landes ausbreitet. Von den mehr als 3,2 Millionen Binnenvertriebenen sind mindestens 2,9 Millionen seit der Machtübernahme des Militärs vor Kampfhandlungen und Unsicherheit geflohen. Etwa ein Drittel der derzeit vertriebenen Bevölkerung sind Kinder.
Der Hunger im ganzen Land nimmt zu. Im Jahr 2024 werden voraussichtlich etwa 12,9 Millionen Menschen – fast 25 Prozent der Bevölkerung – von Ernährungsunsicherheit betroffen sein, mit einem erhöhten Risiko für Unterernährung, insbesondere bei Kindern und Schwangeren.
Das Gesundheitssystem ist in einem desolaten Zustand und die Vorräte an grundlegenden Medikamenten gehen zur Neige. Schätzungsweise 12 Millionen Menschen in Myanmar werden allein in diesem Jahr dringend medizinische Nothilfe benötigen.
Der Humanitäre Bedarfs- und Reaktionsplan (HNRP) für Myanmar 2024 zielt in diesem Jahr auf 5,3 Millionen der am stärksten gefährdeten Menschen ab und erfordert 994 Millionen US-Dollar, doch der HNRP 2024 ist zum 25. August nur zu 24 Prozent finanziert.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Myanmar: Türk bedauert Angriffe auf Zivilisten auf der Flucht aus Rakhine und befürchtet Wiederholung der Gräueltaten gegen die Rohingya von 2017, UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, Pressemitteilung, veröffentlicht am 23. August 2024 (in Englisch)
https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/08/myanmar-turk-deplores-attacks-civilians-fleeing-rakhine-fears-repeat-2017